Januar 2024
BGer 1C_583/2021 vom 31. August 2023
Eigentumsgarantie; Einschränkung der Eigentumsgarantie; Gewässerschutz; materielle Enteignung; Wirtschaftsfreiheit; Gleichbehandlung; Art. 8, 26, 27, 36, 76 BV; 6, 14, 27, 28 GSchG; Anhang 2 GSchV; 1 DZV; PhV/LU
Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) – Wiederholung der Grundsätze (E. 4.1). Einschränkungen (E. 4.2).
Eine Verordnung des Regierungsrats des Kantons Luzern, die verschiedenen Maßnahmen zur Senkung des Phosphorgehalts in den Seen des Kantons vorsieht, wird von Landwirten, die Eigentümer der von diesen Maßnahmen betroffenen Grundstücke sind, angefochten. Die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen der eidgenössischen Gewässerschutzgesetzgebung stellen grundsätzlich eine ausreichende Rechtsgrundlage dar, selbst für schwerwiegende Eingriffe in die Eigentumsgarantie (E. 4.3.1). Da sich die in der kantonalen Verordnung vorgesehenen Massnahmen im Rahmen des blossen Vollzugs der bundesrechtlichen Normen zum Gewässerschutz bewegen, war der Regierungsrat des Kantons Luzern für den Erlass zuständig (E. 3.5). Die getroffenen Massnahmen wurden im klaren öffentlichen Interesse an einer Reduktion des Phosphors in den Seen und damit an der Nichtvermehrung von Algen und der Erhaltung der Gewässerreinheit getroffen (E. 5). Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit ist zu betonen, dass eine Massnahme als angemessen betrachtet werden kann, wenn sie zumindest einen gültigen Versuch darstellt, zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels beitragen zu können; dies ist bei den Massnahmen der Art der Fall (E. 6.1). Auch wenn die Phosphorwerte im Laufe der Zeit aufgrund von Vereinbarungen zwischen den Parteien gesunken sind, muss zudem eingeräumt werden, dass die gesetzlichen Schwellenwerte immer noch nicht erreicht wurden, so dass die bisher verwendeten milderen Mittel weniger geeignet sind, um die mit den neuen Massnahmen verfolgten Ziele zu erreichen (E. 6.2). Die Eigentümer konnten nicht nachweisen, dass die Anwendung der geplanten Massnahmen die Existenz der betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe gefährden würde (E. 6.3).
Materielle Enteignung – Wiederholung der Grundsätze (E. 7). Im vorliegenden Fall ist die bestimmungsgemässe Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen weiterhin möglich, auch wenn bestimmte Maßnahmen bei einigen Betrieben zu Ertragseinbussen führen würden. Ein Teil des potenziellen Ertragsverlustes wird zudem kompensiert. Somit sind die Voraussetzungen für eine materielle Enteignung nicht gegeben. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall etwas anderes gelten könnte, doch wird dies bei der konkreten Rechtsanwendung zu entscheiden sein (E. 7.2–7.4).
Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) – Wiederholung der Grundsätze (E. 8.1–8.2). Gleichbehandlung (Art. 8 BV) – (E. 9.1).
Analyse der Rechtsprechung BGer 1C_583/2021
La constitutionnalité des mesures prises par le conseil d’État lucernois contre l’eutrophisation des lacs du PlateauFebruar 2024
BGE 150 III 63, BGer 5A_941/2022 vom 12. Dezember 2023
Baurecht; Vorzeitiges Heimfallrecht; Verletzung der Unterhalts- und Betriebspflicht; formelle Voraussetzungen für das Heimfallrecht; Art. 779f ff. ZGB; 107-108 OR
Vorzeitiges Heimfallrecht (Art. 779f bis 779h ZGB) – Das vorzeitige Heimfallrecht eines Baurechts erlaubt es, dem Eigentümer des Grundstücks, unter strengen, gesetzlich festgelegten Bedingungen dem Bauberechtigten die Dienstbarkeit zu entziehen. Dieser Heimfall ist an zwei Bedingungen geknüpft: zum einen an eine schwere Pflichtverletzung des Bauberechtigten und zum anderen an die Zahlung einer angemessenen Entschädigung durch den Eigentümer (E. 3).
Verletzung der Unterhalts- und Betriebspflicht – Im vorliegenden Fall wurde ein Baurecht von einer Gemeinde, die Eigentümerin ist, an ein Unternehmen vergeben, das einen Hotelkomplex betreibt. Trotz mehrerer aufeinanderfolgender Änderungen des Erbbaurechtsvertrags und eines Wechsels des Bauberechtigten wurde die Klausel, die die Instandhaltung der bestehenden Gebäude verlangte, nie geändert oder zurückgezogen. Zudem bestand ungeachtet des Vorhabens, anstelle des Hotel-Restaurants einen neuen Gebäudekomplex zu errichten, ein Interesse der Gemeinde, den Zustand des Gebäudes nicht irreversibel zu machen. Somit bestätigte das Bundesgericht, dass die Verpflichtungen der Bauberechtigten fortbestanden (E. 5). Dem Bauberechtigten gelingt es nicht, die Willkür der Feststellungen der Vorinstanz aufzuzeigen, wonach das verfallende Hotel-Restaurant zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung zweifellos seit mehreren Jahren an mangelndem Unterhalt litt (E. 6). Er konnte auch nicht nachweisen, dass es willkürlich war, dass er eine Verpflichtung zum Betrieb eines Hotel-Restaurants hatte (E. 7.1). Im Übrigen kann die Suche nach einem anderen Betreiber nicht mit einem Betrieb gleichgesetzt werden (E. 7.4).
Formelle Voraussetzungen für die Ausübung des vorzeitigen Heimfallrechts – Der Mehrheitslehre folgend, entscheidet das Bundesgericht über die analoge Anwendung von Art. 107 OR auf die Ausübung des Heimfallrechts. Bei einer Pflichtverletzung des Bauberechtigten muss ihn der Eigentümer unter Ansetzung einer Nachfrist auffordern, den rechtmässigen Zustand herzustellen oder seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen. Diese Formalität kann jedoch nicht auferlegt werden, wenn es angesichts des Verhaltens des Bauberechtigten von vornherein klar ist, dass sie wirkungslos bleiben wird (Art. 108 Ziff. 1 OR), was eine klare und endgültige Weigerung des Bauberechtigten voraussetzt, den vertragsgemässen Zustand herzustellen (E. 8.3.2.1). Im vorliegenden Fall hat die Gemeinde die Bauberechtigte nicht rechtsgültig aufgefordert, ihren Unterhalts- und Betriebsverpflichtungen innert einer angemessenen Frist nachzukommen. Ein Schreiben des Eigentümers, in dem er behauptet, dass die Bauberechtigte ihren Unterhalts- und Betriebsverpflichtungen nicht nachkommt, und in dem er darauf hinweist, dass diese Verletzungen vorzeitig zurückgegeben werden können, ist nicht ausreichend, da es nicht verlangt, dass innerhalb einer bestimmten Frist Arbeiten durchgeführt oder der Betrieb wieder aufgenommen werden muss. Folglich wird der Fall zurückgewiesen, damit das Kantonsgericht über die Frage entscheiden kann, ob die Umstände es der Gemeinde erlaubten, auf eine Interpellation in Anwendung von Art. 108 Ziff. 1 OR zu verzichten (E. 8.4).
Analyse der Rechtsprechung BGE 150 III 63, BGer 5A_941/2022
Zur Bedeutung der Festlegung einer Nachfrist bei der Ausübung des Rechts auf vorzeitigen Heimfall eines BaurechtsMärz 2024
BGer 4A_540/2022 vom 19. Dezember 2023
Werkvertrag; Gemischter Kauf- und Werkvertrag; Mängelbeseitigung nach der SIA-Norm 118; Recht auf Mängelbeseitigung des Haupteigentümers eines Stockwerkanteils; Stockwerkeigentum nach Plan; Änderung des Stockwerkeigentumsprojekts während der Bauphase; Koordination zwischen den Gewährleistungsrechten eines Stockwerkeigentümers und den dinglichen Rechten zwischen Stockwerkeigentümern; Art. 368 ff. OR; 641, 712d, 712e ZGB; 69 GBV; 169 SIA-Norm 118
Gemischter Kauf- und Werkvertrag – Wiederholung der Grundsätze. Anwendung der Regeln des Werkvertrags für die Gewährleistung (Art. 368 ff. OR), es sei denn, die Parteien vereinbaren etwas anderes. Im vorliegenden Fall haben die Parteien die Anwendung der SIA-Norm 118 vereinbart (E. 2.1).
Mängelbeseitigung nach SIA-Norm 118 – Art. 169 Abs. 1 Ziff. 1 SIA-Norm 118 privilegiert die Nachbesserung, setzt für diese aber analog zu Art. 368 Abs. 2 OR voraus, dass sie nicht mit unverhältnismässigen Kosten verbunden ist (E. 2.1).
Nachbesserungsanspruch des Eigentümers eines Stockwerkanteils – Der Unternehmer, der vertraglich den Bau eines Stockwerkanteils übernimmt, ist gegenüber dem Besteller verpflichtet, das Werk mangelfrei zu liefern, auch in Bezug auf die Bauteile, die auch anderen Miteigentümern zur Nutzung zustehen. Das Recht auf Nachbesserung ist unteilbar und jeder Stockwerkeigentümer kann seine vertraglichen Rechte auf Nachbesserung gegenüber dem Unternehmer ungeteilt ausüben, auch wenn sich diese Rechte auf gemeinschaftliche Teile eines aufgeteilten Stockwerkeigentums beziehen. Da die Verträge zwischen dem Unternehmer und den einzelnen Erwerbern nicht unbedingt denselben Inhalt haben, stellt sich die Frage, inwieweit ein einzelner Eigentümer seinen vertraglichen Anspruch auf Nachbesserung geltend machen kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der « Mangel » einen gemeinschaftlichen Teil betrifft und die anderen Miteigentümer das Bauwerk nicht als mangelhaft betrachten bzw. den Mangel oder die Planänderung akzeptiert haben. Unter diesen Umständen ist laut BGer eine Koordination zwischen der Anwendung des in den Werkverträgen der einzelnen Erwerber des Stockwerkeigentums vorgesehenen Rechts auf Nachbesserung und den Vorschriften über die Beschlussfassung der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer erforderlich. Ein Stockwerkeigentümer kann nicht alles durchsetzen, was er an sich aufgrund seines Vertrags vom Bauunternehmer verlangen könnte, ohne die Interessen der anderen Stockwerkeigentümer zu berücksichtigen (E. 2.1).
Stockwerkeigentum nach Plan – Gemäß Art. 712d Abs. 1 ZGB wird das Stockwerkeigentum durch Eintragung in das Grundbuch begründet. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Eintragung des Stockwerkeigentums im Grundbuch bereits vor der Errichtung des Gebäudes verlangt werden. In diesem Fall muss der Anmeldung zwingend ein Aufteilungsplan beigelegt werden (Art. 69 Abs. 1 GBV). Das Grundbuchamt vermerkt auf dem Grundbuchblatt der Liegenschaft und auf den Blättern der Stockwerkanteile den Vermerk : « Gründung des Stockwerkeigentums vor der Errichtung des Gebäudes » (Art. 69 Abs. 2 GBV). Der Aufteilungsplan dient der Präzisierung und Abgrenzung des Umfangs der ausschliesslichen Rechte, nimmt aber nicht am öffentlichen Glauben des Grundbuchs teil und ist keine öffentliche Urkunde im Sinne von Art. 9 ZGB (E. 2.1.2).
Änderung des Projekts des Stockwerkeigentums während der Bauphase – Individuelle Änderungen des Projekts werden nicht laufend im Grundbuch aktualisiert. Die Tatsache, dass die Sonderrechte als subjektive Privatrechte nicht oder noch nicht ausgeübt werden können, wie sie im Grundbuch und insbesondere im Aufteilungsplan festgehalten sind, wird durch den in Art. 69 Abs. 2 GBV vorgesehenen Vermerk im GB hervorgehoben. Die Berichtigung der Pläne hat zu erfolgen, wenn feststeht, was geändert worden ist. Die Stockwerkeigentümer und der Verwalter müssen die Fertigstellung des Gebäudes innerhalb von drei Monaten nach dem Bau dem Grundbuchamt melden, gegebenenfalls unter Vorlage des nach dem Bau berichtigten Aufteilungsplans (Art. 69 Abs. 3 GBV). Wenn die Aufteilung geändert wurde, muss ein korrigierter und von allen Stockwerkeigentümern unterzeichneter Aufteilungsplan eingereicht werden. Bei Änderungen, die sich auf die Quoten auswirken, kommt eine vertragliche Anpassung der Quoten einer Übertragung von Grundeigentum gleich und bedarf der öffentlichen Beurkundung sowie der Zustimmung aller Stockwerkeigentümer und der Genehmigung durch die Versammlung der Stockwerkeigentümer. Jeder Stockwerkeigentümer hat jedoch Anspruch auf eine Berichtigung, wenn sein Anteil falsch festgelegt wurde oder infolge von Änderungen in der Konstruktion des Gebäudes oder der Umgebung unrichtig geworden ist (Art. 712e Abs. 2 ZGB) (E. 2.1.2).
Koordination zwischen den Gewährleistungsrechten eines Stockwerkeigentümers und den dinglichen Rechten zwischen Stockwerkeigentümern – Im vorliegenden Fall hat der Bauunternehmer die Projektänderungen nicht allen Miteigentümern unterbreitet. Einige der derzeitigen Miteigentümer erwarben ihre Miteigentumseinheiten jedoch unter Bezugnahme auf die Projektänderungen und akzeptierten diese somit. Die vertraglichen Rechte der verschiedenen Stockwerkeigentümer gehen also nicht in die gleiche Richtung. Insofern besteht offensichtlich ein Koordinationsbedarf : Eine Wiederherstellung des Zustands gemäss den ursprünglichen Plänen kommt nur dann in Frage, wenn der Bauherr diese gegen den Willen der anderen Stockwerkeigentümer durchsetzen kann (E. 2.2), diese zustimmen oder offensichtlich nicht davon betroffen sind (E. 2.3.2). Keine dieser Annahmen ist im vorliegenden Fall nachgewiesen. Zudem kann die Frage des dinglichen Rechts zwischen Stockwerkeigentümern nicht im Rahmen der vorliegenden Vertragsklage entschieden werden, die sich nur gegen den Bauunternehmer richtet, unter Ausschluss der anderen Stockwerkeigentümer, die zwingend ein Mitspracherecht haben müssten. Zudem gelingt es dem Bauherrn nicht, die Willkürlichkeit der Feststellung aufzuzeigen, dass er nur seine Gewährleistungsansprüche, nicht aber seine dinglichen Rechte geltend machte (E. 2.3). Die Rechtsprechung zur negatorischen Klage (Art. 641 Abs. 2 ZGB) zwischen Stockwerkeigentümern kann dem Bauherrn somit nicht weiterhelfen (E. 2.4). Dasselbe gilt für Argumente, die sich auf das Entscheidungsverfahren und die Mehrheitsregeln innerhalb der Stockwerkeigentümergemeinschaft beziehen (E. 2.4.3).
In Bezug auf den Zusammenhang zwischen den Gewährleistungsrechten des Stockwerkeigentümers und dem Verhältnis zu den anderen Miteigentümern stellt das BGer klar, dass es sich um zwei verschiedene Fragen handelt, ob der Beschwerdeführer einerseits vom Unternehmer verlangen kann, dass dieser die Bauten so verändert, dass sie dem entsprechen, was mit ihm vereinbart wurde, und ob andererseits die anderen Miteigentümer diese Änderungen akzeptieren müssen (E. 2.5.1). Aufgrund des oben erwähnten Koordinationsprinzips ist es jedoch nicht zu beanstanden, wenn dem Bauherrn die Nachbesserung verweigert wird, obwohl er die dingliche Rechtslage nicht vorgängig geklärt hat, d.h. in diesem Fall, ob allfällige Änderungen an den gemeinschaftlichen Teilen von den Stockwerkeigentümern akzeptiert würden oder ihnen aufgezwungen werden können (E. 2.5.2). Andernfalls würde der Bauunternehmer Gefahr laufen, auf Verlangen der anderen Stockwerkeigentümer erneut rückbauen zu müssen, so dass der Bauherr kein schützenswertes Interesse an einem solchen widersprüchlichen Hin und Her hat (E. 2.6).
Analyse der Rechtsprechung BGer 4A_540/2022
Blaise Carron
Professeur à l'Université de Neuchâtel, LL.M. (Harvard), Dr en droit, avocat spécialiste FSA droit du bail, avocat spécialiste FSA en droit de la construction et de l’immobilier
April 2024
BGE 150 II 123, BGer 2C_196/2023 vom 7. Februar 2024
Öffentliche Beschaffungswesen; Beschwerdelegitimation von Berufsverbänden; Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung; Art. 83, 89 BGG; 64 INÖB
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Art. 83 Bst. f BGG) – Wiederholung der Grundsätze (E. 1.2 und 1.3.1). Das BGer hat sich noch nie zur Möglichkeit von Berufsverbänden geäussert, gegen Entscheide über die Vergabe öffentlicher Aufträge und insbesondere gegen freihändige Vergaben zu Beschwerde zu ergreifen. Bisher war es nur mit eigennützigen Verbandsbeschwerden befasst, die sich direkt gegen kantonale Erlasse richteten. Darüber hinaus stellt das BGer fest, dass die Frage umstritten ist und in den verschiedenen kantonalen Rechtsprechungen nicht einheitlich entschieden wird. Angesichts der entstandenen Rechtsunsicherheit ist es gerechtfertigt, davon auszugehen, dass der vorliegende Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (E. 1.3.2).
Beschwerdelegitimation (Art. 89 BGG) – Wiederholung der Grundsätze (E. 4.1). Im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens beschränkt sich der Kreis der zur Beschwerde gegen einen Vergabeentscheid berechtigten Unternehmen grundsätzlich auf diejenigen, die bei Gutheissung der Beschwerde noch eine Chance haben, den umstrittenen Auftrag zu erhalten, bzw. die eine Chance gehabt hätten, ihn zu erhalten, falls bereits ein Vertrag mit dem erfolgreichen Anbieter abgeschlossen wurde. Bei einer freihändigen Vergabe steht die Beschwerdelegitimation in der Regel nur jenen Unternehmen zu, die nachweisen, dass sie potenzielle Anbieter für den fraglichen öffentlichen Auftrag sind, indem sie nicht nur glaubhaft machen, dass sie tatsächlich in der Lage wären, die verlangten Leistungen zu erbringen, sondern auch, dass sie ein Angebot eingereicht hätten, wenn eine Ausschreibung veröffentlicht worden wäre (E. 4.2).
Verbandsbeschwerde – Wiederholung der Grundsätze (E. 4.4). Im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens wurde stets anerkannt, dass Berufsverbände die gleichen Bedingungen wie jeder andere Verband erfüllen müssen (E. 4.5). Daraus folgt, dass Berufsverbände, die gegen Entscheidungen über freihändige Vergaben Beschwerde einlegen wollen, dies nur tun können, wenn sie glaubhaft machen, dass die Mehrheit oder zumindest eine grosse Anzahl ihrer Mitglieder sowohl geeignet als auch bereit wären, für die betreffenden Aufträge zu bieten. Es handelt sich hierbei um eine kombinierte Anwendung der Regeln, die einerseits die Beschwerdebefugnis von Verbänden und andererseits die Beschwerdebefugnis im öffentlichen Beschaffungswesen regeln (E. 4.6). Diese Anforderungen wurden zudem im neuen Recht über das öffentliche Beschaffungswesen kodifiziert, das in diesem Fall nicht anwendbar ist (vgl. Art. 64 Abs. 1 IVöB).
Im vorliegenden Fall haben die beschwerdeführenden Berufsverbände im Laufe des Verfahrens nie erklärt oder gar glaubhaft gemacht, dass eine Mehrheit oder zumindest ein grosser Teil ihrer Mitglieder konkret an den von ihnen beanstandeten Verträgen interessiert gewesen wäre. Die blosse Tatsache, dass sich die interessierten Verbände aus Architekten, Ingenieuren und Bauunternehmern zusammensetzen, reicht in dieser Hinsicht nicht aus (E. 4.6). Im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens besteht die Rolle eines Berufsverbandes weniger darin, einzelne Vergaben anzugreifen, sondern vielmehr darin, mögliche neue gesetzliche Normen anzufechten, die im Vorfeld verabschiedet wurden und die Interessen seiner Mitglieder beeinträchtigen könnten (E. 4.7).
Analyse der Rechtsprechung BGE 150 II 123, BGer 2C_196/2023
Adjudications de gré à gré : qualité pour recourir des associations professionnellesMai 2024
BGer 4A_243/2022 vom 26. Februar 2024
Architektur- und Ingenieurvertrag; Gesamtarchitektenvertrag; Honorar; letzte Kostenschätzung; Art. 404 OR; SIA-Norm 102
Gesamtarchitektenvertrag – Der Vertrag im vorliegenden Fall bezieht sich auf Planungs- und Bauleitungsleistungen. Es handelt sich um einen gemischten Vertrag, der je nach den Leistungen des Architekten entweder den Regeln des Auftrags oder denen des Werkvertrags unterliegt. Unabhängig davon, welche Leistung betrachtet wird, gelten für die Kündigung des Gesamtarchitektenvertrags die Regeln des Auftrags (Art. 404 OR). Im vorliegenden Fall haben die Parteien stillschweigend vereinbart, die SIA-Norm 102 in den Vertrag aufzunehmen (E. 3).
Honorar – Im vorliegenden Fall kündigten die Auftraggeber den Vertrag in einem Zeitpunkt, in dem die Arbeiten bereits begonnen hatten. Es ist unbestritten, dass die Berechnung des Honorars nach den Kosten des Bauwerks im Sinne von Art. 7 SIA-Norm 102 erfolgen muss (E. 4). Einer der Parameter der Formel für die Berechnung des Honorars sind die « aufwandbestimmende Baukosten », exklusive Mehrwertsteuer, im Sinne von Art. 7.2 der SIA-Norm 102. Wird das Projekt, wie im vorliegenden Fall, nicht realisiert, so wird das Honorar für die erbrachten Leistungen auf der Grundlage der letzten Kostenschätzung berechnet.
Letzte Kostenschätzung – Zu den Grundleistungen des Architekten nach der SIA-Norm 102 gehören die Kostenschätzung im Stadium des Vorprojekts (Art. 4.31), der genauere Kostenvoranschlag im Stadium des Bauprojekts (Art. 4.32) und die Revision der Kostenermittlung aufgrund der Angebote und Vergleich mit dem Kostenvoranschlag im Stadium der Ausschreibung (Art. 4.41). Im vorliegenden Fall erstellte der Beschwerdeführer erst in der Phase des Ausführungsprojektes des Bauwerks, im Dezember 2007, eine Kostenschätzung und erst nach Eingang der Angebote im Juli 2008 einen Kostenvoranschlag. Die vom Gesamtarchitekten gelieferten Informationen über die Baukosten sind von grosser Bedeutung, da sie die nachfolgenden Entscheidungen des Auftraggebers beeinflussen. Wenn also die Vergütung des Architekten aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Auftrags von den geschätzten Kosten des Bauwerks abhängt, kann der Auftraggeber in gutem Glauben davon ausgehen, dass nur die Kosten der Arbeiten, die er nach der jüngsten Schätzung zu übernehmen bereit ist, als Grundlage für die Berechnung des Honorars dienen werden. In ähnlicher Weise werden bei einer Projektänderung die zum Zeitpunkt der Änderung bereits ausgeführten Leistungen des Architekten gemäss Art. 7 SIA-Norm 102 nach den ursprünglich geschätzten Kosten des Bauwerks vergütet, während für künftige Leistungen die Kosten des Bauwerks nach der Änderung, gegebenenfalls nach dem neuen Kostenvoranschlag, massgeblich sind.
Im vorliegenden Fall akzeptierten die Auftraggeber die ihnen im Juli 2008 vorgelegte Schätzung, die sich auf Gesamtkosten von CHF 1'325’165.- bezog, nicht, da sie das Projekt sofort reduzierten, so dass die Kosten, die der Honorarberechnung zugrunde lagen, CHF 640’771.- betrugen. Folglich stellte der Kostenvoranschlag vom 4. Juli 2008 nicht die letzte Kostenschätzung im Sinne von Art. 7.5.6 SIA-Norm 102 dar. Es ist somit korrekt, einen Betrag von CHF 700'000.- zu berücksichtigen, der vom Architekten selbst am 19. Dezember 2007, also nach der Gesamtkostenschätzung vom 15. Dezember 2007, als für das Honorar massgebliche Kosten angegeben wurde.
Analyse der Rechtsprechung BGer 4A_243/2022
Xavier Borghi
Avocat, spécialiste FSA en droit de la construction et de l'immobilier, docteur en ingénierie civile
Juni 2024
BGE 150 I 106, BGer 1C_600/2023 vom 26. April 2024
Eigentumsgarantie; Einschränkungen der Eigentumsgarantie; rechtliche Grundlagen und Regulierungsdichte; schwerwiegende Einschränkung; öffentliches Interesse; Verhältnismässigkeit; Art. 26 und 36 BV
Einschränkung der Eigentumsgarantie (Art. 26 und 36 BV) – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.1). Rechtliche Grundlagen und Regulierungsdichte – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.1). Schwerwiegende Einschränkung – In der Rechtsprechung wurde die Verpflichtung der Eigentümer einer 20 Jahre alten oder älteren Wärmeerzeugungsanlage, den Brenner oder eine andere Zusatzkomponente der Anlage auszutauschen, nicht als schwerwiegende Einschränkung des Eigentums eingestuft. Darüber hinaus liess das BGer die Frage offen, ob die Verpflichtung zur Entfernung von Elektroheizungen und die Androhung strafrechtlicher Sanktionen, mit denen sie verbunden sein kann, als schwerwiegend einzustufen ist (E. 5.1).
Im vorliegenden Fall wird durch eine Änderung des Waadtländer Gesetzes die Pflicht zur Sanierung von dezentralen Elektroheizungen eingeführt. Keine der zur Verfügung stehenden Sanierungslösungen verhindert den Erwerb einer Liegenschaft, deren Erhaltung, Nutzung oder Veräusserung oder macht die Ausübung des Eigentums unmöglich oder wesentlich schwieriger. Die Massnahme wird zudem von Subventionen für die Eigentümer sowie von Steuerabzügen begleitet. Folglich handelt es sich nicht um einen schwerwiegenden Eingriff, und erfordert keine formell-gesetzliche Grundlage (E. 5.2).
Öffentliches Interesse – Öffentliche Interessen am Umweltschutz (Art. 74 BV), an einer nachhaltigen Entwicklung (Art. 73 BV) oder an einer umweltfreundlichen Energieversorgung und einem sparsamen und rationellen Energiepolitik (Art. 89 Abs. 1 BV) können insbesondere Eingriffe in die Eigentumsgarantie legitimieren. Das BGer hat bereits entschieden, dass die im Kanton Zürich vorgesehene Pflicht zur Entfernung von Elektroheizungen ein ausreichendes öffentliches Interesse darstellt. Es hat auch eine Gemeindeinitiative für gültig erklärt, die sicherstellen wollte, dass bis 2030 alle Heizungen mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Auch der Bundesgesetzgeber hat in jüngster Zeit zahlreiche Initiativen zu diesen Anliegen ergriffen, die darauf abzielen, den Ersatz insbesondere von stationären elektrischen Heizgeräten durch eine Wärmeerzeugung auf der Grundlage erneuerbarer Energien zu fördern (E. 6.1).
Verhältnismässigkeit – Wiederholung der Grundsätze (E. 7.1). Im Zusammenhang mit der Regel der Notwendigkeit ist zu berücksichtigen, dass die strittige Verpflichtung nicht plötzlich und unvorhersehbar erlassen wurde, sondern das Ergebnis eines langen Prozesses ist, der in den 1990er Jahren begann und darauf abzielte, stationäre elektrische Widerstandsheizgeräte zu begrenzen. Eine Verpflichtung zur Sanierung von stationären elektrischen Widerstandsheizungen kann daher von den Eigentümern nicht als unerwartet angesehen werden (E. 7.2.2). In Bezug auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit im engeren Sinne hält das BGer fest, dass die angefochtenen Normen keine absolute Pflicht zum Rückbau dezentraler Elektroheizungen nach sich ziehen (Ausnahmen von der Sanierungspflicht ; Sanierung durch Isolation ; Fristverlängerung ; etc.), so dass keine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips ersichtlich ist (E. 7.2.3).
Analyse der Rechtsprechung BGE 150 I 106, BGer 1C_600/2023
Obligation d’assainissement des chauffages électriques – Conformité au droit supérieur du décret sur l’assainissement des chauffages et chauffe-eaux électriques du 20 décembre 2022Juli 2024
BGer 5A_261/2024 vom 13. Juni 2024
Stockwerkeigentum; Nichtigkeitsklage gegen einen Beschluss der Stockwerkeigentümerversammlung; Zweckänderung der Liegenschaft; Art. 75, 648, 712g, 712m ZGB
Zweckänderung der Liegenschaft – Die Verlängerung der Öffnungszeiten eines « Take-away » -Caterers in der Verwaltungs- und Nutzungsordnung des Stockwerkeigentums stellt keine Änderung der Zweckbestimmung der Liegenschaft im Sinne von Art. 648 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 712g Abs. 1 ZGB dar. Folglich ist für einen solchen Beschluss keine Einstimmigkeit der Stockwerkeigentümer erforderlich. Ein Eigentümer, der sich lediglich über die von einem Geschäft verursachten Immissionen beschwert, begründet keine Zweckänderung der Liegenschaft (E. 6).
August 2024
BGer 4A_342/2023 vom 5. Juni 2024
Einfache Gesellschaft; Solidarität und Streitgenossenschaft; einfache Gesellschaft und Streitgenossenschaft; Auslegung von Willenserklärungen; Innen- und Außenverhältnis in der einfachen Gesellschaft und in der stillen Gesellschaft; Art. 18, 19, 143 ff., 530 ff. OR; 70 ff. ZPO
Verhältnis zwischen Solidarität und Streitgenossenschaft (Art. 70 ff. ZPO ; 143 ff. OR) – Wiederholung der Grundsätze. Einfache Gesellschaft und Streitgenossenschaft – Die Mitglieder einer einfachen Gesellschaft bilden auf der Aktivseite materiell eine zivilrechtliche Gemeinschaft (Art. 544 Abs. 1 OR) und müssen daher für die Güter und Forderungen der einfachen Gesellschaft gemeinsam Klage erheben, und zwar als notwendige Streitgenossen. Auf der Passivseite, d.h. für die Schulden der einfachen Gesellschaft, haften die Gesellschafter hingegen solidarisch (Art. 544 Abs. 3 OR) : der Gläubiger kann wählen, ob er gegen einen Einzelnen, gegen mehrere oder gegen alle klagen will ; klagt er gegen mehrere oder gegen alle, bilden die Beklagten eine passive einfache Streitgenossenschaft (E. 1.1.1).
Auslegung von Willenserklärungen (Art. 18 und 19 OR) – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.1 und 5.2). Innen- und Aussenverhältnis in der einfachen Gesellschaft (Art. 530 ff. OR) – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.2.1). Stille Gesellschaft – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.2.2). Innen- und Aussenverhältnis bei einer stillen Gesellschaft – Im Innenverhältnis einer stillen Gesellschaft haben der verdeckte und der offenbare Gesellschafter sehr wohl den animus societatis, d.h. den Willen, ihre Anstrengungen oder Ressourcen zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zu vereinen. Im Aussenverhältnis tritt die stille Gesellschaft nicht in Erscheinung. Der scheinbare Gesellschafter ist alleiniger Inhaber der dinglichen Rechte an den Gesellschaftsgütern, einschliesslich des Eigentums an den Einlagen des verdeckten Gesellschafters. Gegenüber Dritten handelt er im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ; der verdeckte Gesellschafter vertritt sie nicht, da er nicht verpflichtet werden will, und er haftet nicht für Schulden der Gesellschaft gegenüber Dritten. Die Art. 543 Abs. 2- 3 und 544 Abs. 3 OR sind nicht anwendbar. Nach der Rechtsprechung kann ein Dritter, der mit einem verdeckten Gesellschafter Geschäfte macht, diesen auch dann nicht in Anspruch nehmen, wenn er an den Gesprächen, die zum Vertragsabschluss führten, beteiligt war, wenn er weiss, dass der verdeckte Gesellschafter dennoch nicht aus der verdeckten Rolle, die er sich im Verhältnis zugedacht hatte, ausbrechen wollte (E. 5.2.2.2).
Im vorliegenden Fall ist intern unstrittig, dass ein einfacher Gesellschaftsvertrag zwei Bauträger verbindet, die sich für ein Bauprojekt mit einem Chalet und einem Wellnesscenter verbündet haben. Allerdings war nur einer der Bauträger Eigentümer der betreffenden Parzellen und Inhaber des Kontos für die Bauträgerschaft. Die Bauarbeiten wurden ihm persönlich, in seinem Namen und auf seine Rechnung zugeschlagen. In keinem späteren Dokument wurde der zweite Bauträger erwähnt und die beiden Bauträger sprachen gegenüber Dritten nie von einer Verbindung zwischen ihnen, zumindest nicht gegenüber dem Bauunternehmer oder seinen Angestellten. Die Tatsache, dass der zweite Bauträger an Gesprächen bei Mahlzeiten im Jahr 2011 teilnahm und den Geschäftsführer des Bauunternehmers kannte, ändert daran nichts. Angesichts dessen handelt es sich um eine stille Gesellschaft, Art. 544 Abs. 3 ZGB ist nicht anwendbar und die beiden Promotoren sind keine Solidarschuldner (E. 5.3.2-5.3.3).
September 2024
BGer 2C_512/2023 vom 5. Juni 2024
Öffentliches Beschaffungswesen; Begriff der Verfügung; Beschwerdefrist und Veröffentlichung auf SIMAP; Vertrauensschutz; Art. 15 IVöB 2001
Begriff der Verfügung – Wiederholung der Grundsätze (E. 3.4.1). Ein Schreiben, das das Ergebnis einer Ausschreibung enthält, stellt eine Verfügung dar, da es für die Parteien bindende Wirkungen entfaltet. Eine unzureichende Begründung stellt diese Qualifikation nicht in Frage ; sie kann die Verfügung allenfalls anfechtbar machen (E. 3.4.4).
Beschwerdefrist und Veröffentlichung auf SIMAP – Eine Veröffentlichung des Ausschreibungsergebnisses auf der SIMAP-Plattform, die nach der individuellen Eröffnung der Verfügung per Post erfolgte, setzt weder eine neue zehntägige Beschwerdefrist in Gang, noch verlängert sie die Frist, die aufgrund der eröffneten Verfügung läuft (E. 3.5.2). Dies ist selbst bei einer ungenügend begründeten Verfügung der Fall (E. 3.5.3). Etwas anderes gilt nur, wenn das individuelle Schreiben ausdrücklich auf die Veröffentlichung des Ergebnisses auf der SIMAP-Plattform verweist (E. 4).
Vertrauensschutz – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.1). Der Projektleiter der Vergabebehörde kann nicht als kompetente Person für Auskünfte, insbesondere zu rechtlichen Fragen wie Beschwerdefristen, angesehen werden. Dies war bei professionellen Unternehmen, die im Bausektor tätig sind, erkennbar (E. 5.2).
Analyse der Rechtsprechung BGer 2C_512/2023
Du point de départ du délai de recours contre une décision d’adjudication communiquée aux soumissionnaires par courrier suivie d’une publication sur la plateforme SIMAPOktober 2024
BGer 5A_927/2023 vom 19. August 2024
Bäuerliches Bodenrecht; Vorkaufsrecht des Pächters; Vorkaufsfall; Art. 47 ff. BGBB; 216a ff. OR
Vorkaufsrecht des Pächters (Art. 47 Abs. 2 BGBB) – Wiederholung der Grundsätze. Das Vorkaufsrecht bezieht sich auf das Pachtobjekt. Dies gilt auch, wenn, wie im vorliegenden Fall, nur ein Teil des Grundstücks verpachtet wird. In diesem Fall löst das Vorkaufsrecht grundsätzlich eine Parzellierungspflicht des Grundeigentümers aus (E. 3.3.1).
Vorkaufsfall (Art. 216c OR) – Die Bestimmungen des OR über das Vorkaufsrecht gelten auch für das Vorkaufsrecht des Pächters. Zusätzlich zu den in Art. 216c Abs. 2 OR aufgeführten Hypothesen liegt auch dann kein Vorkaufsfall vor, wenn die Transaktion nicht auf die wirtschaftliche Verwertung der Immobilie abzielt, sondern lediglich eine vermögensrechtliche Umstrukturierung darstellt. Ebenso liegt kein Vorkaufsfall vor, wenn das Geschäft nur unter Berücksichtigung persönlicher Beziehungen zustande kommt oder wenn die Gegenleistung für die Eigentumsübertragung einen Inhalt hat, der nur gerade vom betreffenden Käufer erbracht werden kann (E. 3.3.2). Laut BGer hat das Kriterium der persönlichen, in diesem Fall freundschaftlichen Beziehungen jedoch keine eigenständige Bedeutung, sondern muss sich vielmehr auf die Struktur des Rechtsgeschäfts oder den Verkaufspreis ausgewirkt haben (E. 3.5.1). Im vorliegenden Fall hätte die Gegenleistung von jedem beliebigen Dritten erbracht werden können und der Kaufpreis lag im maximal zulässigen Bereich, sodass die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Verkäufer und Käufer keine Auswirkungen auf den Verkauf hatten (E. 4). Unter diesen Umständen stellt der Verkauf einen Vorkaufsfall dar.
Analyse der Rechtsprechung BGer 5A_927/2023
Die Auswirkungen von persönlichen Beziehungen auf das Eintreten des Vorkaufsfalls im bäuerlichen BodenrechtNovember 2024
BGer 4A_127/2024 vom 12. September 2024
Kaufvertrag; Nichtigkeit eines Immobilienkaufvertrags; guter Glaube in Bezug auf den Besitz; ungerechtfertigte Bereicherung; Art. 60 ff. OR; 938 ff. ZGB; 61 ff. BGBB
Nichtigkeit eines Immobilienkaufvertrags – Wenn die Bewilligung zum Erwerb eines landwirtschaftlichen Gewerbes nach Art. 61 ff. BGBB nicht erteilt wird, ist der Kaufvertrag mit Wirkung ex nunc nichtig und der frühere Eigentümer muss von Amts wegen wieder ins Grundbuch eingetragen werden (E. 3).
Guter Glaube in Bezug auf den Besitz (Art. 938 ff. ZGB) – Wiederholung der Grundsätze (E. 3.2.1). Ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 ff. OR) – Wiederholung der Grundsätze (E. 3.2.2). Es genügt, dass die nach dem BGBB zuständige Behörde interveniert hat, um die Zulässigkeit des Verkaufs in Frage zu stellen, damit ab dem Zeitpunkt dieser Intervention nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass der Erwerber gutgläubig ist (E. 3.4.1).
NB : Das BGer äussert sich nicht zum Schicksal von Miet- und Pachtzinsen, die während der ununterbrochen Besitzzeit von einem gutgläubigen Erwerber erhoben wurden. Die Vorinstanz hatte entschieden, dass diese in Abweichung von Art. 938 ZGB, dessen Anwendungsbereich eingeschränkt ist, dem Verkäufer zurückerstattet werden müssen, da eine Abweichung von den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung nicht relevant sei. In einem solchen Fall kann der gutgläubige Käufer als Gegenleistung alle mit der gekauften Immobilie verbundenen Lasten verlangen, einschliesslich der Lasten, die mit der auf der Immobilie ausgeübten Geschäftstätigkeit verbunden sind (E. 3.3.2).
Analyse der Rechtsprechung BGer 4A_127/2024
Christian Petermann
Avocat spécialiste FSA de la construction et de l’immobilier, Expert immobilier EPFL, Arbitrator / ArbP
Dezember 2024
BGer 4A_529/2023 vom 20. September 2024
Mäklervertrag; Auslegung von Willenserklärungen; Vertragsänderung; Hinweis-, Verhandlungs- und Präsentationsmakler; Kausalität bei der Hinweisvermittlung; Abweichung vom Erfordernis der Kausalität; Art. 18, 412 ff. OR
Auslegung von Willenserklärungen (Art. 18 OR) – Wiederholung der Grundsätze (E. 4.1). Vertragsänderung – Wiederholung der Grundsätze (E. 4.2). Die Parteien, die einen exklusiven Maklervertrag abgeschlossen hatten und sich später vom exklusiven Charakter lösen wollten, beabsichtigten, die Beziehung fortzusetzen, aber eine Änderung vorzunehmen. Die Tatsache, dass die Parteien zur Bestätigung dieser Änderung einen neuen Vertrag unterzeichneten, macht sie nach dem tatsächlichen Willen der Parteien nicht zu zwei getrennten Verträgen, so dass eine erste, von der Maklerfirma organisierte Wohnungsbesichtigung, die vor der Änderung stattfand, nicht mehr berücksichtigt werden könnte (E. 4.4).
Hinweis-, Verhandlungs- und Präsentationsmakler (Art. 412 ff. OR) – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.1-5.2). Bei Vorliegen einer Indikationsvermittlung stellt sich die Frage nach einem psychologischen Zusammenhang zwischen den Bemühungen der Maklerfirma und ihrem Einfluss auf den Willen der Käufer nicht, da diese Voraussetzung nur für die Verhandlungsvermittlung gilt. Es ist daher unerheblich, wie die Erwerber zum Kauf der Wohnung überzeugt wurden (E. 5.3).
Kausalität bei der Hinweisvermittlung (Art. 413 OR) – Bei der Hinweisvermittlung reicht es für den Anspruch des Maklers auf seinen Lohn aus, dass Kausalität vorliegt, d.h. dass der Hinweis, den der Makler dem Auftraggeber gegeben hat, zum Abschluss des Hauptvertrags « führt ». Daraus folgt, dass der Makler beweisen muss, (1) dass er als erster die Person, die später gekauft hat, als an der Sache interessiert bezeichnet hat und (2) dass die Parteien gerade aufgrund dieses Hinweises in Verbindung getreten sind und den Vertrag abgeschlossen haben (E. 5.1.1). Wenn der Besuch der Käufer zu keinem Angebot führt und die Käufer erst Monate später, nachdem der Preis von CHF 6 auf 4,8 Millionen gesenkt wurde, über einen anderen Makler ein Angebot einreichen, fehlt es an der zweiten Voraussetzung. Die Tatsache, dass die Maklerfirma die Käufer ebenfalls per E-Mail über die Preissenkung informiert hatte, reicht nicht aus, um den Verkauf kausal zu machen (E. 5.4).
Abweichung vom Erfordernis der Kausalität (Art. 413 OR) – Art. 413 Abs. 1 OR ist dispositives Recht, so dass die Parteien insbesondere eine Klausel vorsehen können, die auf den Kausalzusammenhang zwischen der Tätigkeit des Maklers und dem Abschluss des Geschäfts verzichtet, wobei der Makler dann Anspruch auf seinen Lohn hat, auch wenn seine Tätigkeit in keinem Zusammenhang mit dem Abschluss des Geschäfts durch den Auftraggeber steht (E. 6.1). Bei einem nicht-exklusiven Vertrag, der zu einer Situation führt, in der drei Makler tätig sind, hat der Makler, der dem Auftraggeber als erster die Person nennt, die bereit ist, die Wohnung zu einem reduzierten Preis zu kaufen, Anspruch auf das Honorar (E. 6.2).
Analyse der Rechtsprechung BGer 4A_529/2023
Le principe de l’interprétation contractuelle et l’exigence du lien de causalité à l’aune du contrat de courtage immobilier (art. 412 ss CO).Liste
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