Newsletter Februar 2023

Herausgegeben von Bohnet F., Eggler M. und Varin S., mit der Teilnahme von Carron B.


PPE 2023

5e séminaire sur la PPE

Organisé par: Séminaire sur le droit du bail

Informations et inscription

BGer 4A_152/2021 vom 20. Dezember 2022

Kauf- und Werkvertrag; Abtretung von Mängelrechten; Parteiwechsel; Art. 18, 172, 368 ss und 467 Abs. 2 OR; 83 ZPO

Parteiwechsel (Art. 83 ZPO) – Bei einer Veräußerung des Streitgegenstands im Laufe des Verfahrens können nach Art. 83 Abs. 1 ZPO derjenige, der die Legitimation erworben hat, und der Prozessführer, der sie verloren hat (veräussernden Partei), durch ihren gemeinsamen Willen erreichen, dass der Erstere den Letzteren im Prozess ersetzt, wobei die Zustimmung der Gegenpartei in diesem Zusammenhang irrelevant ist. Der Streitgegenstand ist weit zu verstehen; es kann sich dabei sowohl um ein Rechtsverhältnis als auch um eine Sache handeln. Die Veräußerung muss eine Änderung der Legitimation für einen der beiden Kläger zur Folge haben; sie umfasst jede Änderung der Rechtslage, die auf besondere Weise vorgenommen wird und sich auf das Eigentum an einer Sache oder auf die Inhaberschaft der einen oder anderen Seite des streitigen Rechtsverhältnisses bezieht, wie z. B. eine Forderungsabtretung.

Im vorliegenden Fall stellt das Bundesgericht fest, dass der Streitgegenstand nicht das Eigentum an der Stockwerkeinheit ist, die im Laufe des Verfahrens verkauft wurde, sondern die Inhaberschaft der Gewährleistungsrechte aus dem Kaufvertrag zwischen dem Bauunternehmer und den ursprünglichen Käufern. Der Parteiwechsel setzte somit eine Forderungsabtretung voraus, die von den Parteien im Laufe des Verfahrens nicht behauptet und nachgewiesen wurde (E. 3.2).

Mängelgewährleistung (Art. 368 ff. OR) – Sofern nicht anders vereinbart, unterliegt die Mängelgewährleistung bei gemischten Verträgen, die Elemente des Kauf- und des Werkvertrags kombinieren, den Regeln des Werkvertrags (Art. 368 ff. OR), jedenfalls bei Mängeln, die die gemeinschaftlichen Teile betreffen. Seit BGE 145 III 8 (Änderung der Rechtsprechung) steht das Recht auf Instandsetzung eines gemeinschaftlichen Teils jedem Stockwerkeigentümer unteilbar und vollumfänglich zu. Angesichts des unteilbaren Charakters des Rechts auf Instandsetzung von Gemeinschaftsteilen ist davon auszugehen, dass auch die Geldforderungen, die aus der Ausübung des Rechts auf Instandsetzung abgeleitet werden, unteilbar sind. Stockwerkeigentümer können als freiwillige Streitgenossen klagen (E. 4.1).

Wenn Stockwerkeigentümer auf Zahlung eines Betrags klagen, der den Kosten für die Beseitigung von Mängeln entspricht, die alle gemeinschaftlichen Teile betrafen, klagen sie auf Erfüllung des (unteilbaren) Rechts auf Instandsetzung aller gemeinschaftlichen Teile und nicht auf Preisminderung (E. 4.2).

Vertragsauslegung (Art. 18 OR) – Erinnerung an die Grundsätze (E. 5.2.1).

Abtretung von Gewährleistungsansprüchen (Art. 172 und 467 Abs. 2 OR) – Im vorliegenden Fall enthielten alle Immobilienkaufverträge Klauseln zur Abtretung von Gewährleistungsansprüchen. Die meisten Verträge enthielten im Übrigen eine Klausel zum Ausschluss der Gewährleistung der Verkäuferin, weshalb die kantonalen Instanzen die Klage der Käufer gegen die Verkäuferin abwiesen ; die Klage der beiden Miteigentümer, deren Vertrag keine solche Klausel enthielt, wurde jedoch gutgeheissen.

Bei der Analyse der strittigen Klauseln hält das Bundesgericht fest, dass mangels einer Vertragsklausel, welche die eigene Gewährleistungspflicht der Verkäuferin einschränkt, der klare Wortlaut der Abtretung nach dem Vertrauensprinzip nur so zu verstehen ist, dass den Käufern die Möglichkeit eingeräumt wird, die Gewährleistungsansprüche des Bauherrn direkt gegen die Bauunternehmer geltend zu machen, die somit zu ihren Gewährleistungsansprüchen gegenüber der Verkäuferin hinzukommen (E. 5.2.3). Das Bundesgericht weist darauf hin, dass im Zusammenhang mit der Abtretung von Gewährleistungsansprüchen weitgehend anerkannt ist, dass das Recht auf Mängelbeseitigung abtretbar ist, unabhängig davon, ob es sich um den Anspruch auf Beseitigung des Mangels selbst oder um die Geldforderung, die sich daraus ergeben kann, handelt (E. 5.3).

Die Abtretung des Rechts auf Mängelbeseitigung erfolgt jedoch zum Zwecke der Erfüllung (Art. 172 OR). In diesem Fall ist der Zessionar (der Käufer) in analoger Anwendung von Art. 467 Abs. 2 OR verpflichtet, zuerst das abgetretene Recht geltend zu machen, da die vom Zedenten geschuldete Leistung in der Zwischenzeit aussteht. Der Zessionar muss dieser Pflicht jedoch nur nachkommen, wenn er über ausreichende Informationen verfügt, um gegen die betreffenden Unternehmer vorzugehen. Im Übrigen muss er nur die Anstrengungen unternehmen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können. Insbesondere muss er nicht den Rechtsweg beschreiten. Da nur das Recht auf Nachbesserung abgetreten werden kann, hindert nichts den Käufer daran, gegenüber dem Verkäufer das Recht auf Preisminderung oder Vertragsauflösung geltend zu machen, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, ohne vorher das abgetretene Recht auf Nachbesserung geltend machen zu müssen (E. 6.1).

Im vorliegenden Fall haben die Käufer ihr Recht auf Nachbesserung gegenüber den Unternehmen, die an den mit Mängeln behafteten gemeinschaftlichen Teilen des Gebäudes gearbeitet hatten, nicht ausgeübt. Außerdem waren die versprochenen Informationen zur Ausübung der Gewährleistungsrechte den Käufern frühzeitig ausgehändigt worden, und es wurde nicht nachgewiesen, dass die Verkäuferin die Kläger bei der Ausübung ihrer Gewährleistungsrechte behindert hätte. Die Beschwerde der Verkäuferin wurde gutgeheissen und die Klage abgewiesen (E. 6.2).

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Kaufvertrag Werkvertrag Mängel/Garantie Verfahren

Analyse der Rechtsprechung BGer 4A_152/2021

Blaise Carron

Professeur à l'Université de Neuchâtel, LL.M. (Harvard), Dr en droit, avocat spécialiste FSA droit du bail, avocat spécialiste FSA en droit de la construction et de l’immobilier

PPE, défaut des parties communes et cession des droits de garantie : un besoin de réforme législative ?

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BGer 4A_445/2022 vom 22. Dezember 2022

Verkaufsversprechen; Vertragliche Haftung; Verhandlungsmaxime; Beweislast; Art. 2, 8 ZGB; 97, 151, 156, 184 OR; 55 ZPO

Verhandlungsmaxime (Art. 55 ZPO) – Wiederholung der Grundsätze (E. 3.1.1). Verteilung der Beweislast (Art. 8 ZGB) – Erinnerung an die Grundsätze (E. 3.1.2).

Die Erwerberin, die nur die Befragung der Parteien beantragt hat um die Verschmutzung eines Grundstücks zu beweisen, erfüllt die Anforderungen an den Beweis, um eine solche Verschmutzung nachzuweisen nicht. Ein Gutachten oder zumindest ein Bericht eines Spezialisten wäre zu dieser Frage notwendig gewesen (E. 3.3). Auch die Tatsache, dass die Verkäuferin die im Verkaufsversprechen vorgesehene Anzahlung zurückzahlte, in Anwendung des Vertrags, der eine Rückgabe auf erstes Anfordern vorsah, falls die auflösenden Bedingungen nicht innerhalb der gesetzten Frist erfüllt würden, liefert nicht den erforderlichen Beweis. Dasselbe gilt für Erklärungen der Verkäuferin, in denen Schadstoffe erwähnt wurden, obwohl die Behauptungen der Käuferin bestritten worden waren (E. 3.5).

Vertragliche Haftung (Art. 97 OR) – Wenn der Vertrag nur vorsieht, dass die Verkäuferin für allfällige Sanierungsmassnahmen finanziell aufkommen muss, kann die Käuferin keine Vertragsverletzung geltend machen, weil die Verkäuferin diese Massnahmen nicht selber vorgenommen hat (E. 4 und 5).

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Kaufvertrag Verfahren

BGer 4A_576/2021 vom 26. August 2022

Werkvertrag; Regiearbeiten; Anfechtung eines Gutachtens; Bauhanderkerpfandrecht nach Parzellenteilung; Art. 798, 833 ZGB; 363 ff OR; 45 SIA-Norm 118; 52 ZPO

Anfechtung eines Gutachtens und guter Glaube im Verfahren (Art. 52 ZPO) – Indem der Bauherr die Berufung abwartet, um sich auf Versäumnisse des Gerichtsexperten zu berufen, verstösst er gegen den Grundsatz des guten Glaubens im Verfahren und die im Berufungsstadium vorgebrachten Rügen sind unzulässig (E. 6.1 und 6.2).

Regiearbeiten ausserhalb der Werkvertrages (Art. 45 SIA-Norm 118) – Die Arbeiten nach einem Erdrutsch stellen dringende Arbeiten zur Verhinderung eines Schadens im Sinne von Art. 45 Abs. 2 SIA-Norm 118 dar. Im vorliegenden Fall wurden sie dem Bauherrn gemeldet, der ihre Unterbrechung nicht verlangte, so dass ihre Kosten geschuldet sind (E. 8.2.1).

Der Meister, ein ausgebildeter Architekt, der die Baustelle betreute und Kenntnis von den ausgeführten Arbeiten hatte und diese nicht ablehnte, konnte die Zahlung nicht mit der Begründung verweigern, dass der Vertrag vorsah, dass jeder ausservertraglichen Leistung ein an die Bauleitung gerichteter Kostenvoranschlag vorausgehen müsse (E. 9).

Bauhandwerkerpfandrecht (Änderung des Antrags, Art. 227 und 230 ZPO) – Das Grundstück, auf dem das Pfandrecht provisorisch eingetragen worden war, wurde 2013 in vier Teile geteilt. Im Jahr 2019 änderte der Unternehmer seinen Antrag dahingehend, dass das Pfandrecht die Parzellen 1, 2, 3 und 4 im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Fläche belastet. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Schlussfolgerungen im Lichte der ihnen zugrunde liegenden Begründung interpretiert werden, bestätigt das Bundesgericht die kantonale Lösung, wonach das Gesuch um definitive Eintragung in Bezug auf die Parzelle, die die Nummer der ursprünglichen Parzelle vor der Teilung beibehalten hat, zulässig und in Bezug auf die drei neu geschaffenen Parzellen unzulässig ist (E. 10.1).

Verteilung des Pfandrechts nach der Parzellenteilung (Art. 798 ZGB) – Das Bundesgericht bestätigt auch die von der Vorinstanz vorgenommene schematische Verteilung der Hypothek zu gleichen Teilen auf die vier Parzellen. Denn obwohl die Hypothek grundsätzlich in Form von Teilpfandrechten beantragt werden muss, die jedes Grundstück für den Teil der Forderung belasten, der sich auf dieses bezieht (Art. 798 Abs. 2 ZGB), ist die Situation anders, wenn die Arbeiten auf einem einzigen Grundstück durchgeführt wurden, das nachträglich geteilt wurde. In diesem Fall werden zwei Hypothesen unterschieden : Entweder folgt auf die Teilung die Veräußerung eines (oder mehrerer) der neu geschaffenen Grundstücke, dann wird das Pfand im Verhältnis zum Schätzwert der verschiedenen Grundstücke verteilt (Art. 833 Abs. 1 ZGB), oder die durch die Teilung entstandenen Grundstücke bleiben in den Händen desselben Eigentümers, dann wird das Pfand in seiner Gesamtheit als Kollektivpfand auf alle neuen Grundstücke übertragen (E. 10.2).

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Werkvertrag Bauhandwerkerpfandrecht SIA Normen Gutachten Verfahren

BGer 4A_23/2021 vom 12. Dezember 2022

Werkvertrag; Garantie für Mängel; Preisminderung; relative Methode; Art. 367 ff OR

Garantien für Mängel (Art. 367 ff. OR) – Der Bauherr kann folgende Gewährleistungsrechte geltend machen: Nachbesserung des Werkes, Minderung des Preises oder Auflösung des Vertrages. Es handelt sich um alternative Gestaltungsrechte; diese Wahl ist grundsätzlich unwiderruflich (E. 3).

Klage auf Preisminderung – Art. 368 Abs. 2 OR bestimmt, dass der Preis « im Verhältnis des Minderwerts » herabgesetzt werden muss. Dabei ist zwischen dem Minderwert des Bauwerks und dem Minderungsbetrag zu unterscheiden, den der Auftraggeber vom vollen Preis abziehen kann, indem er sein Recht auf Preisminderung ausübt. Der Minderwert bezieht sich auf das Bauwerk und der Minderungsbetrag auf den Preis. Das Recht auf Minderung setzt einen Minderwert voraus, der in der Differenz zwischen dem objektiven Wert des hypothetisch vertragsgemäßen Werkes und dem des tatsächlich gelieferten Werkes besteht. Wenn ein objektiver Minderwert festgestellt wird, besteht das Recht auf Minderung auch dann, wenn der Wert des Werkes mit dem Mangel den vereinbarten Preis erreicht oder übersteigt.

Zur Berechnung der Preisminderung « im Verhältnis zum Minderwert » schreiben die Rechtsprechung und die überwiegende Lehre die relative Methode vor – wie bei der Minderung des Preises der verkauften Sache –, die sich nach dem Verhältnis richtet, das zwischen dem objektiven Wert des Werkes mit Mangel und dem objektiven Wert des Werkes ohne Mangel besteht : Der vereinbarte Preis wird in dem sich ergebenden Verhältnis gemindert. Die Preisminderung ist mit dem Minderwert identisch, wenn der für das mangelfreie Werk vereinbarte oder festgesetzte Preis dem objektiven Wert des mangelfreien Werkes entspricht. Wenn sich der Wert des mangelhaften Werkes als null erweist, wird der Preis auf null reduziert (E. 4, Teil 1).

Doppelte Vermutung bei der Preisminderung – Die Rechtsprechung hat erstens die Vermutung aufgestellt, dass der Wert des Werkes, das hätte geliefert werden sollen (objektiver Wert des mangelfreien Werkes), dem von den Parteien vereinbarten Preis entspricht. Diese Vermutung beruht auf der Überlegung, dass der Preis in der Regel Ausdruck des Marktwerts ist. Wenn diese Vermutung nicht widerlegt wird, entspricht die Minderung des Preises einfach dem Minderwert. Um die Anwendung von Art. 368 Abs. 2 OR weiter zu erleichtern, hat das Bundesgericht festgelegt, dass vermutet wird, dass der Minderwert den Kosten für die Instandsetzung des Bauwerks entspricht. Die gemeinsame Anwendung dieser beiden Vermutungen führt zu einer Minderung des Preises in Höhe der Kosten für die Beseitigung des Mangels. Es ist Sache der Partei, die behauptet, dass eine dieser beiden Vermutungen auf den vorliegenden Fall nicht zutrifft, dies zu beweisen (E. 4, zweiter Teil).

Im vorliegenden Fall geht es um die mangelhafte Schallisolierung bestimmter Wände, für die eine separate Vereinbarung über CHF 3'877.90 unterzeichnet worden war und deren Beseitigungskosten der gerichtliche Sachverständige auf CHF 50'000.- geschätzt hatte. In Anwendung der Berechnung nach der relativen Methode, da keine der Parteien die anwendbaren Vermutungen angegriffen hat, stellt das Bundesgericht fest, dass der objektive Wert des Bauwerks mit Mangel null ist, so dass der Preis auf null reduziert wird. Der Bauherr hat somit Anspruch auf eine Preisreduktion von CHF 3'877.90, was dem gesamten Betrag entspricht, den er für die fraglichen Wände bezahlt hat, und nicht von CHF 50'000.-, wie die Vorinstanz entschieden hatte, als Reduktion des Preises für das Gesamtwerk von CHF 1,3 Millionen (E. 5.2).

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Werkvertrag Mängel/Garantie

BGer 4A_371/2021 vom 5. Dezember 2022

Werkvertrag; Werkpreis; Dispositionsprinzip; Art. 374 OR; 55 ZPO

Preis des Werkes (Art. 374 OR) – Mit dem Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werkes und der Auftraggeber zur Zahlung einer Vergütung. Wenn der Preis nicht im Voraus bestimmt wurde, wird er nach dem Wert der Arbeit und den Ausgaben des Unternehmers festgelegt. Die Grundlage für eine Entschädigung nach Aufwand bilden die Ausgaben, die bei sorgfältiger Ausführung objektiv notwendig sind. Die geltend gemachten Ausgaben müssen daher so dargestellt werden, dass ihre Notwendigkeit und Angemessenheit überprüft werden kann. Dies setzt nachvollziehbare Angaben zu den durchgeführten Arbeiten und den dafür aufgewendeten Arbeitsstunden voraus (E. 3).

Dispositionsgrundsatz im Rahmen der Preisfestsetzung – Wenn der Unternehmer seine Ausgaben detailliert auflistet, Wochenberichte und Regiescheine vorlegt, genügt der Auftraggeber nicht den Anforderungen an die Bestreitungslast wenn er diese Ausgaben lediglich pauschal als unbewiesen bestreitet, ohne auch nur zu behaupten, dass die behaupteten Arbeiten nicht ausgeführt wurden, das Material nicht verwendet wurde oder der Regiesatz nicht angemessen war. Insbesondere obliegt es ihm, detailliert darzulegen, welche Ausgaben und Arbeitsstunden aus welchem Grund bestritten werden (E. 5).

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Werkvertrag Werkpreis Verfahren

BGer 4A_419/2021 vom 12. Januar 2023

Werkvertrag; Mangel; Art. 363 ff OR

Mangel – Wenn ein Vertragsdokument ausdrücklich vorsieht, dass der erstellte Vorplatz die Durchfahrt von Maschinen und Radfahrzeugen erlaubt, dass aber die Nutzung des Bauwerks für Raupenfahrzeuge auf solche mit entsprechenden Schutzvorrichtungen beschränkt werden muss, so nutzt der Auftraggeber, der Raupenfahrzeuge einsetzt, das Bauwerk zumindest teilweise unangemessen und kann sich nicht über einen Mangel des Bauwerks in Bezug auf den fraglichen Vorplatz beschweren (E. 3 und 4).

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Werkvertrag Mängel/Garantie

BGer 4A_394/2022 vom 27. Dezember 2022

Architekturvertrag; Vergütung des Architekten; Gutachten; Art. 183 ff ZPO

Vergütung des Architekten – Wenn das Gericht nicht genau feststellen kann, welche Arbeiten der Architekt im Zusammenhang mit einem bestimmten Unternehmen ausgeführt hätte, ist es nicht willkürlich, festzuhalten, dass das Honorar nicht geschuldet ist (E. 3.1).

Würdigung eines Gutachtens – Das Gericht kann von einem Gutachten abweichen, indem es sorgfältig erläutert, warum diesem nicht gefolgt werden kann. Zwar muss das Gericht seine Beurteilung des Gutachtens begründen, doch bedeutet diese Anforderung nicht, dass es sich über alle Einzelheiten seiner Argumentation auslassen muss; es kann sich darauf beschränken, die wesentlichen Züge seiner Argumentation wiederzugeben. Außerdem ist es nicht zu beanstanden, wenn das Gericht dem Gutachten in einigen Punkten folgt und in anderen nicht, da es seine Beurteilung zufriedenstellend dargelegt hat. Ebenso ist die Tatsache, dass die Eigentümer des Gebäudes kein Gegengutachten beantragt haben, nicht ausreichend, um anzunehmen, dass das Gericht sich alle Schlussfolgerungen des Gutachters hätte zu eigen machen müssen (E. 4).

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Architektur- und Ingenieurvertrag Gutachten

BGer 4D_44/2022 vom 1. Dezember 2022

Architekturvertrag; Willkür bei der Feststellung des Sachverhalts; Art. 9 BV

Willkür bei der Feststellung des Sachverhalts (Art. 9 BV) – Wenn der Vertrag vorsieht, dass der Architekt die Bauleitung übernimmt, ist es nicht willkürlich, davon auszugehen, dass der Bauherr diese Aufgabe bei den Abbrucharbeiten jedoch allein wahrnahm, da diese Arbeiten während der Ferien des Architekten zu einem vom Bauherrn festgelegten Zeitpunkt begannen und der Bauherr den mit den Arbeiten beauftragten Unternehmen mitgeteilt hatte, dass er ihr einziger Ansprechpartner sein würde (E. 4).

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Architektur- und Ingenieurvertrag

BGer 4A_115/2021 vom 22. November 2022

Mäklervertrag; Vergütung des Maklers; Abschluss des Verkaufs mit einem Dritten, der der interessierten Partei nahesteht; Begründung der Berufung; Art. 413 OR; 311 Abs. 1 ZPO

Maklerlohn (Art. 413 OR) – Nach dieser Bestimmung hat der Makler Anspruch auf seinen Lohn, sobald der von ihm erteilte Hinweis oder die von ihm geführte Verhandlung zum Abschluss des Vertrages führt. Der Lohnanspruch des Maklers setzt einen kausalen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Maklers und dem tatsächlichen Abschluss des Hauptvertrags voraus; ein psychologischer Zusammenhang zwischen den Bemühungen des Maklers und der Entscheidung des Dritten ist jedoch grundsätzlich ausreichend. Der psychologische Zusammenhang kann selbst dann bestehen, wenn die Verhandlungen zwischenzeitlich abgebrochen wurden bzw. selbst dann, wenn der Makler bis zum Vertragsabschluss nicht beteiligt war oder gar ein anderer Makler zwischenzeitlich tätig geworden ist. Die psychologische Verbindung ist jedoch unterbrochen, wenn die Tätigkeit des Maklers zu keinem Ergebnis geführt hat, die Verhandlungen endgültig abgebrochen wurden und der Verkauf schließlich auf einer völlig neuen Grundlage abgeschlossen wurde (E. 3, erster Teil).

Abschluss des Verkaufs mit einem Dritten, der der interessierten Partei nahesteht – Der Makler hat auch dann Anspruch auf ein Honorar, wenn der Kaufvertrag schließlich mit einer Person abgeschlossen wird, die der ursprünglichen Käuferpartei nahesteht, die der Makler zunächst ins Spiel gebracht hatte. Ein solcher Fall liegt vor, wenn zwischen dem Endkäufer und der ursprünglichen Partei eine so enge wirtschaftliche oder sozial-persönliche Beziehung besteht, dass sie gewissermaßen eine Einheit bilden. Diese Bedingung ist erfüllt, wenn statt der ursprünglichen Partei eine Gesellschaft, an der sie beteiligt ist, den Vertrag abschließt oder wenn sie und der Drittkäufer demselben Haushalt oder derselben Familie angehören. Unter solchen Umständen kann aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung angenommen werden, dass aufgrund der wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen zwischen dem ursprünglichen Interessenten und dem späteren Erwerber die Tätigkeit des Maklers auch den letzteren beeinflusst hat (E. 3, zweiter Teil).

Im vorliegenden Fall wurde die Immobilie schließlich von einer Gesellschaft gekauft, an der der ursprüngliche Interessent zu 34 % und dessen Lebensgefährte zu etwa 33 % beteiligt waren, so dass es nicht willkürlich ist, davon auszugehen, dass der psychologische Kausalzusammenhang nicht unterbrochen wurde und der Lohn des Maklers geschuldet ist (E. 5).

Begründungspflicht der Berufung (Art. 311 Abs. 1 ZPO) – Wiederholung der Grundsätze (E. 6.3).

Übernahme der Lohnschuld des Maklers – Der Makler kann seine Lohnklage gegen die ursprüngliche Interessentin richten, wenn diese sich bereit erklärt hat, die Provision zu zahlen, indem sie die Verkäufer freigestellt hat (E. 7 und 8).

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Mäklervertrag Verfahren

BGer 4A_253/2022 vom 11. Januar 2023

Mäklervertrag und einfache Gesellschaft; Vertragsauslegung; Beweislast; Verhältnis zwischen Zivilrecht und Strafrecht; Art. 8 ZGB; 18, 53 OR; 157 ZPO

Auslegung des Vertrags (Art. 18 OR) – Wiederholung der Grundsätze (E. 4.1).

Durch die Feststellung ihres tatsächlichen Willens ist festzuhalten, dass die Parteien, die für einen Verkauf an einen in Aussicht genommenen Käufer zusammengearbeitet haben – ein Verkauf, der schliesslich scheiterte – weder durch einen Maklervertrag noch durch einen Vertrag über eine einfache Gesellschaft gebunden sind, wenn keiner der hinterlegten Schriftwechsel darauf hindeutet, dass sie vereinbart hätten, beim Verkauf an einen beliebigen Kunden zusammenzuarbeiten, bzw. kein Dokument einen animus societatis erkennen lässt, mit dem die Parteien versucht hätten, ihre Anstrengungen oder Ressourcen zu vereinen, um das gemeinsame Ziel, den Verkauf an einen beliebigen Käufer, zu erreichen (E. 4.2).

Die tatsächliche und gemeinsame Absicht der Parteien hat Vorrang vor der objektiven Auslegung des Willens der Parteien (E. 5).

Verteilung der Beweislast (Art. 8 ZGB) – Wiederholung an die Grundsätze (E. 6.1.1).

Beweiswürdigung (Art. 157 ZPO) – Wiederholung der Grundsätze (E. 6.1.2).

Verhältnis zwischen Zivil- und Strafrecht (Art. 53 OR) – Wiederholung der Grundsätze (E. 6.1.3).

Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft davon ausging, dass ein Vertrag bestand, hat keine Auswirkungen auf den Zivilprozess (E. 6.3).

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Mäklervertrag Einfache Gesellschaft Verfahren

BGer 4A_610/2022 vom 24. November 2022

Einfache Gesellschaft; Einlage in die einfache Gesellschaft; Kündigung des Vertrags; auf den Vertrag anwendbares Recht; Art. 530 ff OR; 117 IPRG

Vertrag über eine einfache Gesellschaft (Art. 530 ff. OR) – Ein Ehepaar, das, nachdem es erkannt hat, dass es nicht in der Lage ist, die Immobilie, an der es interessiert ist, selbst zu erwerben, einem DrittenGelder zur Verfügung stellt zum Erwerb der Liegenschaft unter der Bedingung, dass diese Gelder an das Ehepaar zurückgegeben werden und die Nutzung der Immobilie zwischen dem Ehepaar und dem Dritten aufgeteilt wird, schließt mit diesem Dritten einen Vertrag über eine einfache Gesellschaft ab.

Die Ökonomie des Vertrags läuft somit auf eine Zusammenlegung bestimmter Ressourcen und Fähigkeiten (liquide Mittel einerseits; Fähigkeit, eine Immobilie zu erwerben andererseits) im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel (Teilung der Nutzung der Immobilie) hinaus. Die Bereitstellung der Fähigkeit, eine Immobilie zu erwerben, kann eine Einlage im Sinne von Art. 531 OR darstellen. Dieser relativ weite Rechtsbegriff erfasst nämlich jede Leistung, die geeignet ist, die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks zu fördern. Da es keine Klausel gibt, die es dem Ehepaar erlaubt, die Übergabe des Eigentums an der Immobilie auf erstes Anfordern zu verlangen, ist ein treuhänderischer Erwerb durch den Dritten ausgeschlossen (E. 4).

Anwendbares Recht (Art. 117 IPRG) – Das Schweizer Recht ist auf die einfache Gesellschaft anwendbar, ungeachtet des ausländischen Wohnsitzes des Paares, das Vertragspartei ist. Der Zweck der einfachen Gesellschaft bestand darin, eine Immobilie in der Schweiz zu erwerben und anschließend zu nutzen. Der Gesellschafter, der mit der Verwaltung der Immobilie betraut war, hatte seinen Wohnsitz in der Schweiz. Der Schwerpunkt der einfachen Gesellschaft lag somit in der Schweiz, wo sich die Immobilie befand und wo die einfache Gesellschaft tatsächlich verwaltet wurde (E. 3.2 und 5).

Kündigung des einfachen Gesellschaftsvertrags (Art. 546 OR) – Die Tatsache, dass die kantonalen Instanzen die mündliche Rückzahlungsforderung des Ehepaars als Kündigung des einfachen Gesellschaftsvertrags betrachteten, bietet keinen Anlass zur Kritik, da die Schriftform nicht erforderlich ist (E. 6.2).

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Einfache Gesellschaft Verfahren

BGer 5A_420/2022 vom 8. Dezember 2022

Eigentum an Quelle; Prinzip der Akzession ; Kriterien zur Bestimmung des privaten oder öffentlichen Charakters einer Quelle; Art. 664 Abs. 2, 667 Abs. 2 und 704 Abs. 1 ZGB

Eigentum an einer Quelle (Art. 664 Abs. 2, 667 Abs. 2 und 704 Abs. 1 ZGB) – Nach dem Grundsatz der Akzession sind Quellen grundsätzlich Bestandteile der Grundstücke, auf denen sie erscheinen. Das Eigentum des Grundstücks erstreckt sich daher auch auf die darin entspringende Quelle (E. 3.1). Sofern nicht anders bewiesen, fallen öffentliche Gewässer nicht in den Privatbereich (E. 3.2); es obliegt den Kantonen, unter den Gewässern diejenigen abzugrenzen, die als öffentlich zu betrachten sind, da das Bundesrecht die Unterscheidungskriterien nicht näher erläutert (E. 3.2.1). In Abweichung vom Grundsatz der Akzession werden die Quellen öffentlicher Gewässer als Teil des Wasserlaufs betrachtet, aus dem sie entspringen, und nicht als Teil des Grundstücks, auf dem sie sich befinden (E. 3.2.2). Im Kanton Wallis sind alle Wasserläufe öffentlich, einschließlich ihrer Quelle (E. 3.2). Entscheidend ist, ob die Wasserquelle, unabhängig davon, ob sie an mehreren Stellen entspringt, von Anfang an einen Wasserlauf (Bach) darstellt. Es geht darum, ob die Quelle aufgrund der Dicke und der Kontinuität des Flusses ein Bett mit festen Ufern schafft oder hätte schaffen können, wenn sie nicht gefasst worden wäre (E. 3.3). Bei dieser Prüfung ist vom ursprünglichen Zustand der Quelle auszugehen und nicht von möglichen Veränderungen, die durch menschliches Eingreifen entstanden sind (E. 4.3).

Im vorliegenden Fall sprudelt die Quelle an mehreren Stellen und wurde nur rudimentär gefasst. Es bildete sich nie ein Bett, auch nicht vor der besagten Quellfassung; stattdessen versickerte das Wasser im Boden. Da es keine Verbindung zu einem Wasserlauf gibt, ist die Quelle in Anwendung des Akzessionsprinzips privat und kann nicht als öffentlich betrachtet werden (E. 4.1 und 4.4).

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Eigentum/Besitz Zur Publikation vorgesehen

BGer 5A_79/2022 vom 16. November 2022

Stockwerkeigentum; Vetorecht für baulichen Massnahmen; Art. 647d, 712g ZGB

Bauarbeiten in einer Eigentumswohnung (Art. 712g in Verbindung mit 647d ZGB) – Wiederholung der Grundsätze. Instandsetzungs- und Umbauarbeiten, die den Wert der Sache erhöhen oder ihren Ertrag oder Nutzen verbessern sollen, werden mit der Mehrheit aller Miteigentümer beschlossen, die außerdem mit ihren Anteilen zusammen mehr als die Hälfte der Sache vertreten. Veränderungen, die dazu führen, dass ein Miteigentümer die Nutzung oder den Genuss der Sache gemäß ihrer gegenwärtigen Bestimmung erheblich und dauerhaft beeinträchtigt oder deren Ertrag gefährdet wird, dürfen nicht ohne seine Zustimmung vorgenommen werden (Art. 647d Abs. 2 ZGB). Diese Bestimmung ist zwingender Natur, so dass der Mit- oder Stockwerkeigentümer somit ein Vetorecht hat, das es ihm ermöglicht, sich gegen Lasten zu wehren, die im Vergleich zu denen der anderen Mitglieder der Gemeinschaft übermäßig sind. Diese erheblichen und dauerhaften Belastungen müssen objektiv sein und von einem durchschnittlichen Menschen als solche empfunden werden. Insbesondere sind Situationen zu berücksichtigen, in denen der Gebrauch oder die Nutzung der Sache für den bisherigen Zweck unrentabel wird, d.h. die geplanten Arbeiten verschlechtern die Möglichkeit, eine Wohnung zu vermieten oder weiterzuverkaufen (E. 3.1, inkl. am Schluss eine Kasuistik in der bundesrechtlichen und kantonalen Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall war der Stockwerkeigentümer einer Erdgeschosswohnung berechtigt, von seinem Vetorecht im Sinne von Art. 647d Abs. 2 ZGB bezüglich eines geplanten Baus eines neuen Gebäudeeingangs und eines Aufzugs Gebrauch zu machen. Tatsächlich bedeutete der Bau dieses Eingangs einen neuen Durchgang, der direkt in die Küche und das Esszimmer der Wohnung im Erdgeschoss führte und somit einen Verlust der Privatsphäre, zusätzliche Lärmbelästigung, den Verlust einer freien Aussicht sowie einen Verlust an natürlichem Licht mit sich brachte. Darüber hinaus bestand kein Zweifel daran, dass der betroffene Eigentümer deutlich stärker betroffen war als die Eigentümer der anderen Stockwerkeinheiten. Die Tatsache, dass das Bauprojekt die einzige architektonische Möglichkeit für den Einbau eines Eingangs mit Aufzug darstellte, ist irrelevant (E. 3.2 und 3.5.2).

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Stockwerkeigentum

BGer 5A_697/2022 vom 20. Dezember 2022

Dienstbarkeit; Auslegung einer Dienstbarkeit des Durchgangs für jedes Fahrzeug; verfassungsmäßige Garantie des Eigentums; Art. 738-739 ZGB; 26 BV

Bestimmung des Inhalts einer Dienstbarkeit (Art. 738 ZGB) – Wiederholung der Grundsätze (E. 4.3.1.1).

Im vorliegenden Fall beschränkt sich der Eintrag der Dienstbarkeit im Grundbuch auf die Angabe des Bestehens eines « Durchgangs für jedes Fahrzeug », ohne weitere Angaben zur Möglichkeit, den Durchgang zu Fuss zu benutzen. Auch die Urkunde über die Errichtung der Dienstbarkeit schweigt sich zu diesem Thema aus. Da es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass ein Durchgang zu Fuß in diesem Fall ausgeschlossen war, erscheint es nicht willkürlich, a majore ad minus davon auszugehen, dass ein Durchgang für jedes Fahrzeug die Möglichkeit einschließt, zu Fuß zu gehen. Indem sie den strittigen Durchgang zu Fuss statt mit einem Fahrzeug passieren, besteht kein Zweifel daran, dass die Nutzniesser der Dienstbarkeit diese auf die am wenigsten schädliche Weise im Sinne von Art. 737 Abs. 2 ZGB ausüben (E. 4.3.2).

Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) – Die Beziehungen zwischen Privatpersonen unterliegen unmittelbar allein dem Zivil- und Strafrecht, durch das der Einzelne vor Eingriffen in seine verfassungsmäßigen Rechte durch andere Privatrechtssubjekte geschützt wird. Die Eigentümer des belasteten Grundstücks können sich daher in einem dinglichen Rechtsfall nicht direkt auf die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie berufen (E. 5).

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Dienstbarkeit Eigentum/Besitz

BGer 6B_375/2022 vom 28. November 2022

Strafrecht; Fahrlässige schwere Körperverletzung; Art. 11, 12 Abs. 3 und 125 Abs. 2 StGB; VUV; BauAV

Fahrlässige schwere Körperverletzung (Art. 11, 12 Abs. 3 und 125 Abs. 2 StGB) – Diese Straftat setzt die Erfüllung von drei Bedingungen voraus, nämlich Fahrlässigkeit, eine Verletzung der körperlichen Integrität und einen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen diesen beiden Elementen. Theoretischer Rückblick auf diese Voraussetzungen und ihre Grundsätze (E. 3.1.1).

Vorschriften über die Unfallverhütung bei Bauarbeiten (VUV und aBauAV) – Nennung der anwendbaren Vorschriften (E. 3.1.2).

Im vorliegenden Fall hat der Unternehmer seine aus Art. 21 VUV, Art. 15 Abs. 1, Art. 16 und Art. 19 Abs. 1 aVUV abgeleitete Sorgfaltspflicht verletzt, indem er keine Schutzvorrichtung anbrachte und somit nicht die notwendigen Massnahmen zur Verhinderung von Stürzen ergriff (E. 3.3.4, 3.3.5, 3.4.2).

Unterbrechung des Kausalzusammenhangs – Das kantonale Gericht hatte jedoch festgehalten, dass der verunfallte Arbeitnehmer, der nun an einer inkompletten Tetraplegie leidet, den adäquaten Kausalzusammenhang durch sein Verhalten unterbrochen hatte, da er nicht aus der ungeschützten Öffnung gefallen war, sondern sich dieser absichtlich genähert hatte, obwohl er nicht an ihr beschäftigt war, um auf das darunter liegende mobile Gerüst zu springen (E. 3.4.1).

Für das Bundesgericht stellt sich die Frage, ob die Installation eines Seitenschutzes oder gleichwertiger Schutzmassnahmen durch den Unternehmer nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der Lebenserfahrung verhindert hätte, dass der Arbeitnehmer absichtlich diesen Weg benutzt und folglich abstürzt. Die einschlägigen Normen sollen sowohl unbeabsichtigte Stürze als auch den Durchgang von Personen, die stürzen könnten, verhindern, um dem eminent gefährlichen Charakter jeder Bautätigkeit und der natürlichen Neigung jeder dort tätigen Person, gelegentlich freiwillig oder unbeabsichtigt Risiken einzugehen, Rechnung zu tragen, solange diese Risiken nicht so außergewöhnlich und unerwartet erscheinen, dass sie die Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhangs rechtfertigen. Folglich bejaht das Bundesgericht die adäquate Kausalität, da das bloße Vorhandensein von Seitenschutz oder gleichwertigen Schutzmaßnahmen zumindest bewirkt hätte, dass der Arbeitnehmer auf die mit dem geplanten Manöver verbundenen Risiken aufmerksam gemacht worden wäre, und ihn höchstwahrscheinlich dazu veranlasst hätte, den vorgeschriebenen Ausgang zu benutzen. Eine Unterbrechung der Kausalität kann insbesondere deshalb nicht angenommen werden, weil es nicht überraschend ist, dass ein Arbeiter, um Zeit zu sparen oder aus einem anderen Grund, Risiken eingeht, die zu einem unbeabsichtigten Sturz führen können. Das Verhalten im vorliegenden Fall war umso weniger unerwartet, als der vorgeschriebene Zugangsweg mit einem Umweg verbunden war (E. 3.4.2).

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Strafrecht