Newsletter März 2024
Herausgegeben von Bohnet F., Carron B., Eggler M. und Varin S., mit der Teilnahme von Wermelinger A.
Mit der Unterstützung von Die Kammer der Fachanwälte SAV im Bau- und Immobilienrecht
Herausgegeben von Bohnet F., Carron B., Eggler M. und Varin S., mit der Teilnahme von Wermelinger A.
Werkvertrag; Gemischter Kauf- und Werkvertrag; Mängelbeseitigung nach der SIA-Norm 118; Recht auf Mängelbeseitigung des Haupteigentümers eines Stockwerkanteils; Stockwerkeigentum nach Plan; Änderung des Stockwerkeigentumsprojekts während der Bauphase; Koordination zwischen den Gewährleistungsrechten eines Stockwerkeigentümers und den dinglichen Rechten zwischen Stockwerkeigentümern; Art. 368 ff. OR; 641, 712d, 712e ZGB; 69 GBV; 169 SIA-Norm 118
Gemischter Kauf- und Werkvertrag – Wiederholung der Grundsätze. Anwendung der Regeln des Werkvertrags für die Gewährleistung (Art. 368 ff. OR), es sei denn, die Parteien vereinbaren etwas anderes. Im vorliegenden Fall haben die Parteien die Anwendung der SIA-Norm 118 vereinbart (E. 2.1).
Mängelbeseitigung nach SIA-Norm 118 – Art. 169 Abs. 1 Ziff. 1 SIA-Norm 118 privilegiert die Nachbesserung, setzt für diese aber analog zu Art. 368 Abs. 2 OR voraus, dass sie nicht mit unverhältnismässigen Kosten verbunden ist (E. 2.1).
Nachbesserungsanspruch des Eigentümers eines Stockwerkanteils – Der Unternehmer, der vertraglich den Bau eines Stockwerkanteils übernimmt, ist gegenüber dem Besteller verpflichtet, das Werk mangelfrei zu liefern, auch in Bezug auf die Bauteile, die auch anderen Miteigentümern zur Nutzung zustehen. Das Recht auf Nachbesserung ist unteilbar und jeder Stockwerkeigentümer kann seine vertraglichen Rechte auf Nachbesserung gegenüber dem Unternehmer ungeteilt ausüben, auch wenn sich diese Rechte auf gemeinschaftliche Teile eines aufgeteilten Stockwerkeigentums beziehen. Da die Verträge zwischen dem Unternehmer und den einzelnen Erwerbern nicht unbedingt denselben Inhalt haben, stellt sich die Frage, inwieweit ein einzelner Eigentümer seinen vertraglichen Anspruch auf Nachbesserung geltend machen kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der « Mangel » einen gemeinschaftlichen Teil betrifft und die anderen Miteigentümer das Bauwerk nicht als mangelhaft betrachten bzw. den Mangel oder die Planänderung akzeptiert haben. Unter diesen Umständen ist laut BGer eine Koordination zwischen der Anwendung des in den Werkverträgen der einzelnen Erwerber des Stockwerkeigentums vorgesehenen Rechts auf Nachbesserung und den Vorschriften über die Beschlussfassung der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer erforderlich. Ein Stockwerkeigentümer kann nicht alles durchsetzen, was er an sich aufgrund seines Vertrags vom Bauunternehmer verlangen könnte, ohne die Interessen der anderen Stockwerkeigentümer zu berücksichtigen (E. 2.1).
Stockwerkeigentum nach Plan – Gemäß Art. 712d Abs. 1 ZGB wird das Stockwerkeigentum durch Eintragung in das Grundbuch begründet. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Eintragung des Stockwerkeigentums im Grundbuch bereits vor der Errichtung des Gebäudes verlangt werden. In diesem Fall muss der Anmeldung zwingend ein Aufteilungsplan beigelegt werden (Art. 69 Abs. 1 GBV). Das Grundbuchamt vermerkt auf dem Grundbuchblatt der Liegenschaft und auf den Blättern der Stockwerkanteile den Vermerk : « Gründung des Stockwerkeigentums vor der Errichtung des Gebäudes » (Art. 69 Abs. 2 GBV). Der Aufteilungsplan dient der Präzisierung und Abgrenzung des Umfangs der ausschliesslichen Rechte, nimmt aber nicht am öffentlichen Glauben des Grundbuchs teil und ist keine öffentliche Urkunde im Sinne von Art. 9 ZGB (E. 2.1.2).
Änderung des Projekts des Stockwerkeigentums während der Bauphase – Individuelle Änderungen des Projekts werden nicht laufend im Grundbuch aktualisiert. Die Tatsache, dass die Sonderrechte als subjektive Privatrechte nicht oder noch nicht ausgeübt werden können, wie sie im Grundbuch und insbesondere im Aufteilungsplan festgehalten sind, wird durch den in Art. 69 Abs. 2 GBV vorgesehenen Vermerk im GB hervorgehoben. Die Berichtigung der Pläne hat zu erfolgen, wenn feststeht, was geändert worden ist. Die Stockwerkeigentümer und der Verwalter müssen die Fertigstellung des Gebäudes innerhalb von drei Monaten nach dem Bau dem Grundbuchamt melden, gegebenenfalls unter Vorlage des nach dem Bau berichtigten Aufteilungsplans (Art. 69 Abs. 3 GBV). Wenn die Aufteilung geändert wurde, muss ein korrigierter und von allen Stockwerkeigentümern unterzeichneter Aufteilungsplan eingereicht werden. Bei Änderungen, die sich auf die Quoten auswirken, kommt eine vertragliche Anpassung der Quoten einer Übertragung von Grundeigentum gleich und bedarf der öffentlichen Beurkundung sowie der Zustimmung aller Stockwerkeigentümer und der Genehmigung durch die Versammlung der Stockwerkeigentümer. Jeder Stockwerkeigentümer hat jedoch Anspruch auf eine Berichtigung, wenn sein Anteil falsch festgelegt wurde oder infolge von Änderungen in der Konstruktion des Gebäudes oder der Umgebung unrichtig geworden ist (Art. 712e Abs. 2 ZGB) (E. 2.1.2).
Koordination zwischen den Gewährleistungsrechten eines Stockwerkeigentümers und den dinglichen Rechten zwischen Stockwerkeigentümern – Im vorliegenden Fall hat der Bauunternehmer die Projektänderungen nicht allen Miteigentümern unterbreitet. Einige der derzeitigen Miteigentümer erwarben ihre Miteigentumseinheiten jedoch unter Bezugnahme auf die Projektänderungen und akzeptierten diese somit. Die vertraglichen Rechte der verschiedenen Stockwerkeigentümer gehen also nicht in die gleiche Richtung. Insofern besteht offensichtlich ein Koordinationsbedarf : Eine Wiederherstellung des Zustands gemäss den ursprünglichen Plänen kommt nur dann in Frage, wenn der Bauherr diese gegen den Willen der anderen Stockwerkeigentümer durchsetzen kann (E. 2.2), diese zustimmen oder offensichtlich nicht davon betroffen sind (E. 2.3.2). Keine dieser Annahmen ist im vorliegenden Fall nachgewiesen. Zudem kann die Frage des dinglichen Rechts zwischen Stockwerkeigentümern nicht im Rahmen der vorliegenden Vertragsklage entschieden werden, die sich nur gegen den Bauunternehmer richtet, unter Ausschluss der anderen Stockwerkeigentümer, die zwingend ein Mitspracherecht haben müssten. Zudem gelingt es dem Bauherrn nicht, die Willkürlichkeit der Feststellung aufzuzeigen, dass er nur seine Gewährleistungsansprüche, nicht aber seine dinglichen Rechte geltend machte (E. 2.3). Die Rechtsprechung zur negatorischen Klage (Art. 641 Abs. 2 ZGB) zwischen Stockwerkeigentümern kann dem Bauherrn somit nicht weiterhelfen (E. 2.4). Dasselbe gilt für Argumente, die sich auf das Entscheidungsverfahren und die Mehrheitsregeln innerhalb der Stockwerkeigentümergemeinschaft beziehen (E. 2.4.3).
In Bezug auf den Zusammenhang zwischen den Gewährleistungsrechten des Stockwerkeigentümers und dem Verhältnis zu den anderen Miteigentümern stellt das BGer klar, dass es sich um zwei verschiedene Fragen handelt, ob der Beschwerdeführer einerseits vom Unternehmer verlangen kann, dass dieser die Bauten so verändert, dass sie dem entsprechen, was mit ihm vereinbart wurde, und ob andererseits die anderen Miteigentümer diese Änderungen akzeptieren müssen (E. 2.5.1). Aufgrund des oben erwähnten Koordinationsprinzips ist es jedoch nicht zu beanstanden, wenn dem Bauherrn die Nachbesserung verweigert wird, obwohl er die dingliche Rechtslage nicht vorgängig geklärt hat, d.h. in diesem Fall, ob allfällige Änderungen an den gemeinschaftlichen Teilen von den Stockwerkeigentümern akzeptiert würden oder ihnen aufgezwungen werden können (E. 2.5.2). Andernfalls würde der Bauunternehmer Gefahr laufen, auf Verlangen der anderen Stockwerkeigentümer erneut rückbauen zu müssen, so dass der Bauherr kein schützenswertes Interesse an einem solchen widersprüchlichen Hin und Her hat (E. 2.6).
Professeur à l'Université de Neuchâtel, LL.M. (Harvard), Dr en droit, avocat spécialiste FSA droit du bail, avocat spécialiste FSA en droit de la construction et de l’immobilier
Stockwerkeigentum; Zivilprozessuale Anfechtungsklagebefugnis des Verwalters; Verteilung der gemeinsamen Kosten und Lasten; Stockwerkeigentum nach Plan; Anfechtungsklage gegen Versammlungsbeschlüsse; Bauarbeiten an gemeinschaftlichen Teilen; Frist für die Einberufung der Generalversammlung; Protokoll der Eigentümerversammlung; Gesetzliches Pfandrecht der Stockwerkeigentümergemeinschaft; Verjährung von Beiträgen; Einrede der Nichterfüllung; Art. 712h, 712i, 712m, 712t ZGB; 82, 127, 128 OR; 69 GBV
Zivilprozessuale Klagebefugnis des Verwalters (Art. 712t CC) – Um einen Zivilprozess im Namen der Wohnungseigentümergemeinschaft zu führen, muss der Verwalter ausserhalb des summarischen Verfahrens zuvor von der Wohnungseigentümerversammlung ermächtigt werden, vorbehaltlich dringender Fälle, in denen die Ermächtigung nachträglich eingeholt werden kann. Die Genehmigung muss Gegenstand eines Beschlusses der Versammlung der Wohnungseigentümer sein. Wenn der Verwalter nicht nachweist, dass eine vorherige Genehmigung vorliegt, oder wenn er unter Zeitdruck gehandelt hat, setzt das Gericht ihm eine Frist, innerhalb derer er seine Berechtigung zum Handeln nachweisen muss. Wenn die Eigentümerversammlung ihn innerhalb der gesetzten Nachfrist ermächtigt, genehmigt sie die ursprünglich ohne Vollmacht vorgenommenen Verfahrenshandlungen und heilt den Mangel mit Wirkung ex tunc. Die Ermächtigung ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung, die das Gericht von Amts wegen prüfen muss (E. 4.1.2).
Verteilung der gemeinsamen Kosten und Lasten (Art. 712h ZGB) – Wiederholung der Grundsätze. Art. 712h Abs. 3 ZGB ist eine Schutzbestimmung, die zur Anwendung kommt, wenn die wertanteilige Verteilung bestimmter gemeinsamer Kosten oder Lasten unbillig erscheint. Sie ist zwingender Natur (E. 5.1.1). Die Verankerung der Verteilung der gemeinsamen Kosten und Lasten nach dem Wert der Quoten im Reglement verpflichtet die Stockwerkeigentümergemeinschaft nicht, das Reglement zu ändern, um von diesem Verteilungsschlüssel abzuweichen (E. 5.1.2.2). Dies kann durch einen einfachen Beschluss der Versammlung der Stockwerkeigentümer geschehen. Eine einfache Mehrheit ist ausreichend, wenn das Reglement nichts über die Verteilung aussagt, während die für eine Reglementsänderung erforderliche Mehrheit erforderlich ist, wenn die beschlossene Verteilung von der im Reglement vorgesehenen abweicht (E. 5.1.2.3).
Im vorliegenden Fall hat die Eigentümerversammlung eines teilweise bebauten Stockwerkeigentums nach Plan die Eigentümer der nicht bebauten Stockwerkanteile von den gemeinsamen Kosten und Lasten befreit. Für das BGer kann dies keine Ungleichbehandlung darstellen (E. 5.1.3.2).
Stockwerkeigentum nach Plan (Art. 69 GBV) – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.1.3.4). Auch der Eigentümer einer (noch) nicht erstellten Stockwerkeinheit hat das unantastbare und unveräusserliche Recht, an der Versammlung der Stockwerkeigentümer teilzunehmen und an deren Entscheidungen mitzuwirken (E. 5.1.3.5). Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass das gesamte Gebäude - also auch die gemeinschaftlichen Teile - für die Eigentümer der nicht realisierten Einheiten objektiv und definitiv unbrauchbar ist. Es besteht somit ein objektiver Grund für die Kostenbefreiung (E. 5.1.3.6). Hinsichtlich der Abweichung von der proportionalen Quotenverteilung ist einzig die Konstellation bedenklich, bei der (ausschliesslich) privilegierte Stockwerkeigentümer gleichzeitig eine Machtposition innehaben, die sie zum Nachteil der übrigen Eigentümer missbrauchen könnten, was hier nicht gegeben ist (E. 5.1.3.8).
Anfechtungsklage gegen Versammlungsbeschlüsse – Die Anfechtungsklage ist grundsätzlich kassatorischer Natur. Dies bedeutet, dass der Stockwerkeigentümergemeinschaft im Rahmen des Urteils keine Verpflichtungen oder Handlungen auferlegt werden können. Eine Anfechtungsklage, die auf die teilweise Aufhebung des Beschlusses abzielt, ist grundsätzlich zulässig, setzt aber nach der Lehre voraus, dass der Beschluss materiell teilbar ist (E. 5.3.1.1).
Bauarbeiten an gemeinschaftlichen Teilen – Die Durchführung solcher Arbeiten erfordert, dass ein Beschluss (der sog. Ausgabenbeschluss) nicht nur über die Durchführung der betreffenden Massnahmen als solche, sondern auch über die dadurch verursachten Kosten gefasst wurde (E. 5.3.2.4). Zwar erlaubt das Gesetz der Versammlung der Stockwerkeigentümer, die Schaffung eines Renovationsfonds für Unterhalts- und Renovationsarbeiten zu beschliessen (Art. 712m Abs. 1 Ziff. 5 ZGB), gibt es keinen Grund, weshalb sie nicht über eine Einlage für noch zu konkretisierende Sanierungsmassnahmen entscheiden kann ; die Rüge, es sei nicht möglich, einen Stockwerkeigentümer zu zwingen, seinen Beitrag für noch unbestimmte Arbeiten zu leisten, wird daher zurückgewiesen, da die Notwendigkeit der Sanierung im vorliegenden Fall nicht bestritten wird (E. 5.3.3).
Frist für die Einberufung der Generalversammlung – Eine Einberufungsfrist, die nicht der im Reglement vorgesehenen Frist entspricht, macht die während der Versammlung gefassten Beschlüsse nicht automatisch ungültig, insbesondere wenn der Stockwerkeigentümer, der sich darauf beruft, an der Versammlung teilgenommen hat und nicht erklärt, inwiefern ihm diese Unregelmässigkeit einen Schaden zugefügt haben soll. Eine Annullierung kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Verletzung des Reglements eine kausale Wirkung auf die Beschlussbildung hatte oder hätte haben können (E. 5.4.1.6).
Protokoll der Eigentümerversammlung – Es müssen die im genehmigten Protokoll festgehaltenen Beschlüsse selbst angefochten werden, was in diesem Fall auch geschah. Zusätzlich die Genehmigung des Protokolls anzufechten, ist weder notwendig noch relevant, wenn es darum geht, den materiellen Inhalt der Beschlüsse in Frage zu stellen. Nur wenn die Protokollierung der Beschlüsse nicht korrekt erfolgt ist, ist es gerechtfertigt, eine Berichtigung zu verlangen (E. 5.4.2.3).
Verjährung von Beiträgen – Im vorliegenden Fall lässt das BGer offen, welche Verjährungsfrist für Beiträge von Stockwerkeigentümern gilt (5 oder 10 Jahre gemäss 128 Ziff. 1 oder 127 OR). Wird die Verjährung durch eine Klage unterbrochen, beginnt sie erneut zu laufen, wenn der Rechtsstreit abgeschlossen ist, d.h. wenn die Rechtsmittel ausgeschöpft sind. Im vorliegenden Fall wurde die Frist vor Eintritt der Verjährung unterbrochen und hat somit noch nicht wieder zu laufen begonnen (E. 6.3.3.2).
Einrede der Nichterfüllung (Art. 82 OR) – Ein Stockwerkeigentümer kann sich im Zusammenhang mit unbezahlten Beitragsforderungen mangels Austauschverhältnis nicht auf Art. 82 OR berufen (E. 6.3.4.2).
Gemeinschaftspfandrecht (Art. 712i ZGB) – Wiederholung der Grundsätze (E. 6.1). Das Pfandrecht soll die von den Stockwerkeigentümern geschuldeten Beiträge für die letzten drei Jahre sichern. Nach einer vorwiegend teleologischen Auslegung des Gesetzes (E. 6.1.2.10) hält das BGer fest, dass die vom Gesetz vorgesehene Dreijahresfrist rückwirkend ab der Einreichung des Gesuchs um Eintragung des Gemeinschaftspfandrechts zu berechnen ist. Für eine Beitragsforderung, die am 30. September 2020 fällig wurde, während das Geschäftsjahr vom 1. Juli 2020 bis zum 30. Juni 2021 dauerte, müsste das Gesuch um Eintragung des Gemeinschaftspfandrechts spätestens am 30. September 2023 eingereicht werden, d.h. drei Jahre nach Fälligkeit der Beitragsforderung.
Werkvertrag; Preisminderung bei Mängeln; Tatsachenvermutung; Art. 368 Abs. 2 OR; 158, 183 ZPO
Preisminderung bei Mängeln (Art. 368 Abs. 2 OR) – Wiederholung der Grundsätze. Zur Berechnung der Preisminderung « im Verhältnis zum Minderwert» gilt die relative Methode, die in der Praxis auf die Schwierigkeit stösst, den objektiven Wert des vereinbarten Werks (ohne Mangel) und den objektiven Wert des tatsächlich gelieferten Werks (mit Mangel) festzulegen. Um diese Probleme zu vermeiden, hat die Rechtsprechung zunächst die Vermutung aufgestellt, dass der Wert des Werks, das hätte geliefert werden sollen, dem von den Parteien vereinbarten Preis entspricht. Darüber hinaus hat das BG eine zweite Vermutung in dem Sinne aufgestellt, dass der Minderwert vermutlich den Kosten für die Wiederherstellung des Werks entspricht. Die gemeinsame Anwendung dieser beiden Vermutungen führt zu einer Minderung des Preises, die den Kosten für die Beseitigung des Mangels entspricht. Es ist Sache derjenigen Partei, die behauptet, eine der beiden Vermutungen zu widerlegen, dies zu beweisen (E. 5).
Im vorliegenden Fall beschränkte sich der Bauherr auf eine Preisminderungsklage, so dass er auf eine Entschädigung für die Kosten der Nachbesserung verzichtete (E. 5.3.1). Im Rahmen einer vorsorglichen Beweisführung stellte ein Experte fest, dass sich die Kosten für die Reparatur des Bauwerks auf CHF 324'000.- beliefen. Dieser Betrag wurde vom Auftraggeber als dem Minderwert entsprechend angesehen. Da dieser Betrag den Preis des Bauwerks übersteigt und unbestritten ist, dass der Wert des Bauwerks nicht null ist, kann nach Ansicht des Bundesgerichts die zweite Vermutung nicht angewendet werden (E. 5.3.2). Im vorliegenden Fall hat der Bauherr den Betrag der Minderung jedoch nicht festgelegt, und es obliegt nicht dem Richter, diesen Betrag auf der Grundlage des Sachverständigenberichts zu extrapolieren oder den Sachverständigen zu diesem Thema zu befragen (E. 5.3.3).
Werkvertrag; Verhandlungsmaxime und Beweislast bei Mängelrügen; Art. 55 ZPO; 8 ZGB; 367 und 370 OR
Verhandlungsmaxime (Art. 55 ZPO) und Beweislast (Art. 8 ZGB) – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.1.1). Mängelanzeige (Art. 367 und 370 OR) – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.3.2).
Bei der Mängelrüge muss der Bauherr (oder Käufer), der Gewährleistungsansprüche geltend macht, beweisen, dass er die Mängelrüge rechtzeitig abgegeben hat, während es dem Unternehmer (oder Verkäufer) obliegt, die Abnahme des Werkes aufgrund der verspäteten Mängelrüge zu behaupten. Diese Rechtsprechung bedeutet, dass die Lasten von Behauptung und Beweis getrennt werden. Nachdem das BG zunächst Zweifel an dieser « ungewöhnlichen Trennung » der Lasten der (objektiven) Behauptungslast und der Beweislast geäußert und die Frage offen gelassen hatte, hielt das BG schließlich in mehreren unveröffentlichten Urteilen an seiner in BGE 107 II 50 und 118 II 142 veröffentlichten Rechtsprechung fest. Der Bauunternehmer (oder Verkäufer) trägt demnach die objektive Behauptungslast für die fehlende oder verspätete Mängelrüge, und der Bauherr (oder Käufer) trägt die Beweislast für eine dieser Tatsachen (E. 5.3.3).
Im vorliegenden Fall konnte die Vorinstanz dem Bauherrn keinen Behauptungsmangel bezüglich der fehlenden Verspätung der Mängelrüge vorwerfen. Damit hat sie ihm sowohl die Beweis- als auch die Behauptungslast auferlegt (E. 5.4).
Interne Schiedsgerichtbarkeit; Gründe für die Anfechtung eines Schiedsspruchs; Qualifizierung des Vertrags als partiarisches Darlehen oder einfache Gesellschaft; Vorlage eines inhaltlich falschen Dokuments; Art. 393 ZPO
Qualifizierung des Vertrags als partiarisches Darlehen oder einfache Gesellschaft – Unter Hinweis auf seine veröffentlichte Rechtsprechung (BGE 99 II 303, E. 4) betont das BGer, dass eine Vereinbarung, die eine Verlustbeteiligung vorsieht, kein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal ist, um die Natur des Vertrags (partiarisches Darlehen oder einfache Gesellschaft) zu bestimmen. Im vorliegenden Fall hatten verschiedene Darlehensgeber separate Verträge abgeschlossen, ohne dass es zwischen ihnen zu einem Austausch von Absichten gekommen war. Neben dem gemeinsamen Interesse, einen Gewinn aus dem vorliegenden Immobiliengeschäft zu erzielen, hatte jeder ein anderes spezifisches Interesse, so dass es nicht willkürlich ist, das Vorhandensein eines animus societatis zu verneinen (E. 5.1).
Vorlage eines inhaltlich falschen Dokuments – Dass der Schiedsrichter keine Fehler in einem von einer Partei vorbereiteten und dieser Partei nachteiligen Dokument festgestellt hat, fällt nicht in den engen Rahmen einer Überprüfung gegen eine offensichtlich mit den Akten in Widerspruch stehende Feststellung der Tatsachen (vgl. Ziff. 5.5).
Eigentumsgarantie; Verein und Geschäftstätigkeit; Grundwasserschutzgebiete; Eigentumsgarantie; Grunddienstbarkeit; Art. 26 und 36 BV; 20 GSchG; Anhang 2 und 4 GSchV; 60 und 61 ZGB
Verein und gewerbliche Tätigkeit (Art. 60 und 61 ZGB) – Wiederholung der Grundsätze (E. 3.1). Im vorliegenden Fall besitzen elf Grundstücke ein dingliches Recht an der Quellfassung, die von mindestens elf Haushalten und sechs landwirtschaftlichen Betrieben genutzt wird. Die Betroffenen sind in einem Verein zusammengeschlossen, der bezweckt, seine Mitglieder mit Trink- und Brauchwasser zu versorgen, die gemeinsamen Anlagen für die Wasserversorgung zu bauen und zu betreiben und die Interessen der Mitglieder nach aussen zu vertreten, insbesondere gegenüber den Eigentümern der mit dem Quellrecht belasteten Grundstücke und den Fachstellen der Gemeinde und des Kantons. Ein solcher Verein entfaltet im Sinne der Rechtsprechung keine Geschäftstätigkeit und muss somit nicht im HR eingetragen werden (E. 3.1.2). Er hat ein Interesse an der Klage, da seine Mitglieder als Inhaber von Wasserrechten vom Schicksal der Quelle, die Gegenstand des Verfahrens ist, betroffen sind (E. 3.2).
Grundwasserschutzzonen (Art. 20 GSchG ; 29 und Anhänge 2 und 4 GSchV) – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.1). Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.2).
Im vorliegenden Fall wurde im Bereich der Quellfassung ein Gewässerschutzplan verabschiedet. Er sieht eine Grundwasserschutzzone S1 vor, die nach Süden hin von den Schutzzonen S2 und S3 umgeben ist. In der Zone S1 sind nur Aktivitäten und Bauten erlaubt, die der Nutzung von Trinkwasser dienen. In der Schutzzone S2 unterliegt die Bodennutzung und Düngung den Normen des Anhangs 3 Bst. h und des Anhangs 4 Ziff. 222 GSchV. Offene Flächen müssen demnach ab Mitte November mit Gründünger oder Zwischenfutter bedeckt werden oder mit einer normal entwickelten Winterkultur, die spätestens Anfang September gesät und bis Mitte Februar nicht gepflügt wird. In einem auf dem Abgrenzungsplan besonders gekennzeichneten Gebiet ist der Anbau von Kulturen verboten.
Rechtsgrundlage (Art. 36 Abs. 1 BV) – Die Eigentümer der landwirtschaftlichen Grundstücke versuchten vergeblich zu beweisen, dass die Wassermenge (E. 5.2.1) oder die Wasserqualität (E. 5.2.2) der betroffenen Quellen nicht ausreichen, um die Einrichtung der Wasserschutzzonen zu rechtfertigen. In dieser Hinsicht ist der natürliche oder angereicherte Zustand des Wassers ausschlaggebend für die Entscheidung, ob ein Grundwasser für die Wasserentnahme nutzbar oder geeignet ist ; vorübergehende Verschmutzungen werden nicht berücksichtigt (E. 5.2.3.3). Bei Überschreitung der Schwellenwerte für Nitrat und Chlorid muss jedoch das Verfahren nach Art. 47 GSchV eingehalten werden (vgl. im Einzelnen E. 5.2.3.4). Zudem steht das Vorhandensein von Strassen in der Nähe der Ausscheidung neuer Gewässerschutzzonen nicht entgegen (E. 5.2.5.3). Fruchtfolgeflächen (vgl. zum Begriff und zur Kompensation : E. 5.2.7.1) können in die Gewässerschutzzone einbezogen werden, da diese Flächen - anders als bei einer Einzonung - geeignet wären, innerhalb eines Jahres einen ortsüblichen Ertrag von für die Landesversorgung wichtigen Zielkulturen zu erwirtschaften (E. 5.2.7.4). Die gesetzlichen Grundlagen für die Einführung der Schutzmassnahme wurden somit eingehalten.
Öffentliches Interesse (Art. 20 Abs. 1 GSchG und Art. 36 Abs. 2 BV) – Der Ertrag der Quelle könnte bei einer durchschnittlichen Schüttung von 110 Litern pro Minute den Bedarf einer Bevölkerung von bis zu 500 Personen decken. Angesichts der Versorgung von elf Gebäuden und mindestens elf Haushalten steht zudem fest, dass es sich nicht um eine einfache private häusliche Nutzung von Trinkwasser handelt. Unter diesen Umständen besteht ein öffentliches Interesse an der Einschränkung des Eigentums. Die Tatsache, dass das fragliche Quellenrecht privater Natur ist, spielt dabei keine Rolle (E. 6).
Verhältnismässigkeit (Art. 36 Abs. 3 BV) – Unter diesem Gesichtspunkt bestätigt das BGer zunächst das Verbot von Ackerkulturen in einem Teil der Zone S2, das als Konkretisierung von Anhang 4 Ziff. 222 Abs. 1 Bst. d GSchV erscheint, der generell (zusätzlich zu den ausdrücklich genannten) Aktivitäten verbietet, die die Trinkwasserversorgung gefährden (E. 7.2). Schliesslich hält das BGer im Rahmen der Interessenabwägung fest, dass die von den Nutzungsbeschränkungen betroffenen Flächen im Vergleich zu den gesamten Betriebsflächen der Eigentümer der landwirtschaftlichen Grundstücke nicht ins Gewicht fallen, zumal einige der betroffenen Flächen bereits heute als Naturwiesen genutzt werden. Darüber hinaus sind Ausnahmegenehmigungen für das Verbot der Verwendung von Flüssigdünger denkbar. Dass kein alternativer Standort für die Wassergewinnung geprüft wurde, kann den Behörden nicht zum Vorwurf gemacht werden, da für die Wassergewinnung aus der Artquelle eine Grunddienstbarkeit besteht. Die Tatsache, dass ein alternativer Standort die Interessen anderer Privatpersonen nur in geringerem Masse beeinträchtigt, hat insbesondere angesichts der bestehenden Dienstbarkeit nicht zur Folge, dass sich die Interessenabwägung als bundesrechtswidrig erweist (E. 7.4).
Materielle Enteignung; Planungszone und Bausperre zwischen der Veröffentlichung des Plans und seiner Genehmigung; Art. 26 BV; 5, 27 RPG
Materielle Enteignung (Art. 26 BV ; 5 RPG) – Wiederholung der Grundsätze (E. 2.2.1).
Planungszone (Art. 27 RPG) und Bausperre zwischen der Veröffentlichung des Plans und seiner Genehmigung – Diese Art von Massnahmen führen nur zu einer vorübergehenden Einschränkung des Eigentums. Nach der Rechtsprechung führt ein vorübergehendes Bauverbot grundsätzlich nicht zu einer Entschädigung für eine materielle Enteignung, es sei denn, die Eigentumsbeschränkung ist schwerwiegend, weil sie über einen längeren Zeitraum andauert. Die Rechtsprechung hat keine schematische und allgemeine Zeitgrenze festgelegt, ab der eine vorübergehende Eigentumsbeschränkung als lang andauernd zu betrachten ist. Dennoch stellt ein auf fünf Jahre begrenztes Verbot in der Regel keine materielle Enteignung dar, während ein Verbot, das zehn Jahre überschreitet, eine solche darstellen kann. Die Frage, ob eine erhebliche Einschränkung des Eigentums gegeben ist oder nicht, kann nämlich erst nach einer gewissen Zeit, in der Regel nach zehn Jahren, oder zum Zeitpunkt der endgültigen Planung beantwortet werden. In jedem Fall muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft werden, ob die Intensität der Einschränkung einer materiellen Enteignung gleichkommt (E. 2.2.2).
Im vorliegenden Fall waren die Planungsmassnahmen provisorisch, zunächst von März 2006 bis März 2013 (Planungszone) und dann von Dezember 2016 bis Januar 2019 (Bausperre vor der Plangenehmigung). Einzeln betrachtet oder sogar kumuliert dauerten diese Zeiträume weniger als zehn Jahre. Darüber hinaus wurden die betroffenen Parzellen zwischen 2013 und 2016 sowie zwischen Januar 2019 und Oktober 2020 wieder bebaubar, d. h. nicht unerhebliche Zeiträume, in denen ein Bauverfahren hätte eingeleitet werden können. Die Eigentümer haben jedoch nie etwas unternommen. Sie weisen auch nicht nach, dass sie aufgrund der vorübergehenden Massnahmen gezwungen waren, bestimmte Bauvorhaben, die hätten genehmigt werden können, langfristig aufzuschieben. Der vollständige und endgültige Verlust der Bebaubarkeit der Parzelle, der 2020 in Kraft trat, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Somit ist der Anspruch auf eine Entschädigung für materielle Enteignung zu verneinen (E. 2.4).
Materielle Enteignung; Unterscheidung zwischen einer Auszonung und einer Nichteinzonung; Bresche in die Bausubstanz; Vertrauensprinzip; Sonderopfer; Art. 26 BV; 5 RPG
Materielle Enteignung (Art. 26 BV ; 5 RPG) – Wiederholung der Grundsätze. Unterscheidung zwischen einer Auszonung und einer Nichteinzonung – Wiederholung der Grundsätze (E. 3.2.2). Im vorliegenden Fall unterliegt die Parzelle seit 2022 keiner definitiven Planung mehr ; es besteht vielmehr ein Planungsvakuum. In der Praxis läuft dies dennoch auf eine langfristige Einschränkung des Baurechts hinaus (E. 3.3). Diese Einschränkung ist jedoch als Nichteinzonung zu qualifizieren, da die alte, 2022 aufgehobene Planung aufgrund einer Überdimensionierung der Bauzone nicht RPG-konform war (E. 3.4). Darüber hinaus wurden die im vorliegenden Fall behaupteten Investitionen und Erschliessungskosten in der Vergangenheit für die früheren Aktivitäten der Lagerung und des Handels mit Treibstoffen getätigt und stehen daher nicht im Zusammenhang mit der Nicht-Zuweisung zur Bauzone im Jahr 2002. Darüber hinaus ist der Kaufpreis für das Grundstück nicht Teil der Erschliessungskosten. Das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen den behaupteten Ausgaben und der Massnahme, die eine materielle Enteignung darstellen könnte, wurde daher zu Recht verneint (E. 4.4).
Baulücken – Der Begriff wird von der Rechtsprechung restriktiv verstanden und umfasst im Wesentlichen einzelne unbebaute Parzellen, die direkt an bebaute Grundstücke angrenzen, die in der Regel bereits erschlossen sind und eine relativ geringe Fläche aufweisen. Die Nutzung des unbebauten Baulandes wird hauptsächlich durch die umliegende Bebauung bestimmt ; die Baulücke muss also Teil der geschlossenen Bebauung sein, an deren Qualität teilhaben und so stark von der bestehenden Bebauung geprägt sein, dass es sinnvoll ist, ihre Einbeziehung in die Bauzone in Betracht zu ziehen (E. 5.2). Im vorliegenden Fall stellt die betroffene Fläche aufgrund ihrer grossen Grösse und ihrer geografischen Lage ein grosses, mehrheitlich unbebautes Gebiet dar, das autonom und losgelöst von den umliegenden Siedlungsgebieten ist ; sie stellt keine Lücke in der Bebauung im Sinne der Rechtsprechung dar (E. 5.3).
Vertrauensgrundsatz bei materiellen Enteignungen – Wiederholung der Grundsätze (E. 6.2). Im vorliegenden Fall enthält die Akte keine Versprechungen oder Zusicherungen der Behörden. Die Tatsache, dass Regierungsbeschlüsse das Grundstück vorläufig in eine « Konversions- und Neugestaltungszone » legten, ohne dass diese Beschlüsse verbindliche Anordnungen zur Einbeziehung des Grundstücks in eine bestimmte Bauzone enthielten, während die zukünftige Planung tatsächlich ungewiss blieb, lässt nicht den Schluss zu, dass der Eigentümer in gutem Glauben eine Einteilung in eine Bauzone erwarten konnte (E. 6.4).
Voraussetzung des Sonderopfers – Auch eine geringfügige Beeinträchtigung kann eine materielle Enteignung darstellen, wenn sie einen oder mehrere Eigentümer in einer Weise trifft, dass sie ohne Entschädigung ein mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbares unzumutbares Opfer zugunsten der Allgemeinheit erbringen müssten. Der Schutz erstreckt sich nur auf die vorhersehbare zukünftige Nutzung des Grundstücks, d.h. die Möglichkeit, es ohne Verzögerung für Bauzwecke zu verwenden (E. 3.2.1). Dies ist im vorliegenden Fall bei einem Grundstück, das nicht einmal zwingend der Bauzone zugewiesen werden musste, nicht der Fall (E. 7.2).
NB : Die Urteile des BGer 1C_28/2023 und TF 1C_29/2023 betreffen benachbarte Parzellen desselben Komplexes ; die Erwägungen sind ähnlich, das Schicksal der Sache identisch.
Dienstbarkeit; Notweg und öffentliches Recht; Notstand und Grundsatz nach Treu und Glauben ; Bestimmung des dienenden Grundstücks; Art. 694 ZGB; 19-20 RPG
Notwendiges Wegerecht und öffentliches Recht – Das notwendige Wegerecht kann nur bei Neubauten mit der Begründung verweigert werden, dass das Gebäude nicht ausreichend im Sinne von Art. 19 und 20 RPG erschlossen ist. Umgekehrt muss Art. 694 ZGB bei bestehenden Gebäuden die Möglichkeit bieten, alte Unzulänglichkeiten zu korrigieren, insbesondere bei einem Gebäude, auf das die Art. 19 ff. RPG zum Zeitpunkt der Errichtung nicht anwendbar waren und ohne dass ein Zusammenhang mit alten, aufgehobenen kantonalen Regeln hergestellt werden kann, die früher für die Erteilung der Baubewilligung galten (E. 3.2).
Notstand und Grundsatz von Treu und Glauben – Ein Eigentümer kann keinen Notweg im Sinne von Art. 694 ZGB verlangen, wenn er den Notstand selbst verursacht, geduldet oder sich damit abgefunden hat oder wenn er sich entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben verhalten hat, indem er beispielsweise einen bestehenden Durchgang beseitigt hat, um einen bequemeren zu erhalten. Die Verweigerung des Durchgangs setzt also voraus, dass der Eigentümer den Notstand durch vorsätzliches Handeln herbeigeführt hat. Dagegen ist anerkannt, dass einem Eigentümer, der ein bereits bebautes Grundstück kauft, nicht entgegengehalten werden kann, er habe die Notwendigkeit des Zugangs schuldhaft herbeigeführt. Die gleiche Argumentation muss auch für den Erben des Eigentümers gelten, der die Enklave verursacht hat, und auch ihm kann nicht die absichtlich geschaffene Notlage desjenigen, von dem er geerbt hat, angelastet werden. Eine missbräuchliche Haltung ist nicht vererbbar (E. 4.3).
Bestimmung des berechtigten Grundstücks (Art. 694 Abs. 2 ZGB) – Wiederholung der Grundsätze. Hat ein Grundstück nach der Teilung eines Grundstücks oder der Veräusserung eines angrenzenden Grundstücks, das demselben Eigentümer gehört, keinen Zugang mehr zu einer öffentlichen Strasse, wird der Durchgang auf dem anderen Grundstück gewährt, das seinerseits noch einen Zugang zur Strasse hat. In Betracht kommen auch bestehende Zufahrtswege, die für die heutigen Bedürfnisse nicht ausreichen, etwa weil der Durchgang zu schmal ist oder die Zufahrt mit einem Motorfahrzeug nicht erlaubt. In solchen Fällen ist der Notweg vom Eigentümer des Grundstücks, auf dem das bestehende Durchgangsrecht ausgeübt wird, geschuldet, wenn ein ausreichender Zugang durch dieses Grundstück möglich ist. Nur wenn kein Grundstück diese Kriterien erfüllt, d. h. wenn der Notstand nicht auf eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse oder der Zugangswege zurückzuführen ist, kann der Notweg vom Eigentümer des Grundstücks verlangt werden, über das der Durchgang am wenigsten schädlich ist (E. 5.3.1). Das Bundesgericht weist jedoch darauf hin, dass die Lehre die Rangordnung insofern abschwächt, als sie sich im Falle eines offensichtlichen Missverhältnisses zwischen den Nachteilen für die belasteten Potenziale umkehren kann bzw. der Zeitablauf dazu führt, dass frühere Ausgänge im Vergleich zu anderen Ausgängen, die angesichts des Zustands des Grundstücks logischer geworden sind, als unzumutbar erscheinen (E. 5.3.2). Schliesslich lässt das Bundesgericht die Frage offen, ob man dem Kriterium des früheren Zustands der Grundstücke eine zeitliche Begrenzung entgegensetzen kann, wobei es klarstellt, dass dies letztlich auf eine Abwägung der Interessen der Eigentümer hinausläuft, die mit dem erforderlichen Durchgang belastet werden könnten.
Im vorliegenden Fall, wo der Verlust des Zugangs zur Parzelle nach der Parzellenteilung erfolgte und der Zugang über die andere Parzelle, die aus der Teilung hervorgegangen ist, bereits besteht (Dienstbarkeit des Durchgangs), aber unzureichend ist, erscheint es kohärent, den ausreichenden Zugang nach dem Kriterium des geringsten Schadens für die Eigentümer der potenziellen belasteten Grundstücke zu schaffen (E. 5.4).
Dienstbarkeit; Verzicht auf eine Dienstbarkeit; Art. 734 ZGB
Verzicht auf eine Dienstbarkeit – Die Dienstbarkeit erlischt mit ihrer Löschung im Grundbuch (Art. 734 ZGB). Der Verzicht auf eine Dienstbarkeit kann jedoch bereits vor der Löschung wirksam werden, wenn der Berechtigte erklärt, dass er ohne Vorbehalt oder Bedingung auf die Dienstbarkeit verzichtet ; der Wille zum Verzicht kann ausdrücklich oder stillschweigend geäussert werden, wobei ein konkludentes Verhalten diesen Willen klar zum Ausdruck bringen muss. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Eigentümer des belasteten Grundstücks einen der Dienstbarkeit widersprechenden Bau auf dem Nachbargrundstück zulässt. Dagegen kann die blosse Nichtausübung einer Dienstbarkeit über einen längeren Zeitraum nur dann als Verzichtserklärung ausgelegt werden und damit rechtliche Bedeutung erlangen, wenn die Umstände eindeutig auf diese Absicht hindeuten und eine andere Auslegung als ausgeschlossen oder zumindest höchst unwahrscheinlich anzusehen ist. Folgt dem Verzicht auf die Dienstbarkeit keine entsprechende Erklärung des Dienstbarkeitsberechtigten an das Grundbuch, muss der Eigentümer des dienenden Grundstücks eine Anfechtungsklage beim Grundbuchamt einreichen, um die Löschung der Dienstbarkeit zu erreichen (E. 3.1.2).
Im vorliegenden Fall schlossen die Parteien eine umfassende Vereinbarung, die die Anpflanzung einer Hecke auf der Grundlage einer Wegdienstbarkeit vorsah. Obwohl dies in der Vereinbarung nicht ausdrücklich erwähnt wird, kann ohne Willkür davon ausgegangen werden, dass der subjektive Wille der Eigentümer des herrschenden Grundstücks darin bestand, auf die Dienstbarkeit zu verzichten (E. 5.2.2).
Dienstbarkeit; Eintragung und Auslegung einer Dienstbarkeit; Art. 738, 971, 973 ZGB
Eintragung und Auslegung einer Dienstbarkeit (Art. 738 ZGB) – Wiederholung der Grundsätze (E. 3.3.1). Im vorliegenden Fall ist die Eintragung einer Dienstbarkeit nur mit « Passage » beschriftet. Sie stammt aus dem Jahr 1931 und im Grundbuch ist kein Errichtungsvertrag verzeichnet. Sie wurde 1990 bei der Teilung des belasteten Grundstücks identisch verlängert. Im Jahr 2006, anlässlich einer « Aktualisierung » der Dienstbarkeit (dieser Begriff wird im Wortlaut des Grundbuchs verwendet), wurde der Umfang der Dienstbarkeit unter Bezugnahme auf einen Plan klar abgegrenzt ; ihre Grundlage kann somit anhand dieses Plans, der im Grundbuch steht, festgelegt werden. Nichtsdestotrotz kann der eigentliche Inhalt der Beschränkung nicht objektiv definiert werden, indem man sich auf die Eintragung im Grundbuch beschränkt. Darüber hinaus wurde 2006 kein Gründungsvertrag geschlossen. Diese Umstände machen objektiv verständlich, dass sich die « Aktualisierung » von 2006 darauf beschränkte, die Bemessungsgrundlage der Beschränkung zu präzisieren, ohne den eigentlichen Inhalt zu betreffen. Dieser Inhalt wurde von den Vorinstanzen korrekt festgelegt, mit Bezug auf den Zweck, der sich vernünftigerweise aus den Nutzungsbedürfnissen des herrschenden Grundstücks nach den damaligen Umständen im Jahr 1931 ergab, d. h. für eine ausschließlich landwirtschaftliche Nutzung (E. 3.4).
Dienstbarkeit; Begründung der Berufung; Alternative Begründungen eines Urteils; Art. 662, 731 ZGB; 311 ZPO
Begründung der Berufung (Art. 311 ZPO) – Wiederholung der Grundsätze. Enthält eine Entscheidung eine doppelte Begründung (d.h. zwei unabhängige, alternative oder subsidiäre Begründungen), muss der Beschwerdeführer unter Androhung der Unzulässigkeit nachweisen, dass jede dieser Begründungen rechtswidrig ist. Von einer doppelten Begründung kann man nur dann sprechen, wenn jede ihrer Seiten ausreicht, um das Schicksal der Sache zu besiegeln. Keine doppelte Begründung liegt hingegen vor, wenn die erste Begründung das Schicksal des Rechtsstreits besiegelt, die zweite Begründung, die auf einem falschen Kriterium beruht, jedoch an sich ungeeignet ist, das Schicksal der Sache zu besiegeln ; die Tatsache, dass der Berufungskläger nur die erste Begründung angefochten hat, steht daher der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen (E. 3.3.1).
Im vorliegenden Fall stellt der Wille der Alleineigentümerin aller in Frage stehenden Grundstücke, auf eine allfällige nicht eingetragene Dienstbarkeit zugunsten eines der Grundstücke zu verzichten bzw. diese zu löschen, einen Grund dar, der unabhängig von jenen ist, die sich auf die Bedingungen für den Erwerb einer Dienstbarkeit durch ausserordentliche Ersitzung beziehen (Art. 662 Abs. 1 kum. Art. 731 Abs. 3 ZGB). Denn dieser erste Grund hätte für sich allein ausgereicht, um das Schicksal der Sache zu besiegeln (E. 3.4).
Bauhandwerkerpfandrecht; Vorläufige Eintragung eines gesetzlichen Pfandrechts; Glaubhaftmachung von Arbeiten; Art. 839 Abs. 2, 961 Abs. 3 ZGB
Vorläufige Eintragung eines gesetzlichen Pfandrechts (Art. 839 Abs. 2 und 961 Abs. 3 ZGB) – Angesichts der kurzen und zwingenden Wirkung der Frist von Art. 839 Abs. 2 ZGB kann die vorläufige Eintragung eines gesetzlichen Pfandrechts von Handwerkern und Unternehmern nur dann verweigert werden, wenn das Bestehen des Rechts auf die endgültige Eintragung des Grundpfandrechts ausgeschlossen oder höchst unwahrscheinlich erscheint. Bei einer unklaren Sach- oder Rechtslage, die eine umfassendere Prüfung verdient, als sie im Rahmen einer summarischen Untersuchung möglich ist, muss es vielmehr dem Richter der Anfechtungsklage überlassen werden, zu entscheiden, ob der Anspruch auf das Pfandrecht letztlich bejaht werden soll (E. 4.1).
Glaubhaftmachung von Arbeiten – Die vorstehende Rechtsprechung bedeutet nicht, dass eine Eintragung angeordnet werden muss, obwohl der angebliche Unternehmer keinen Beweis oder auch nur einen Anhaltspunkt dafür erbringt, dass er Arbeiten ausgeführt hat, und die Existenz dieser Arbeiten selbst bestritten wird. Im vorliegenden Fall gelingt es dem Bauunternehmer nicht, die Durchführung von Arbeiten glaubhaft zu machen, da er weder einen Vertrag, einen Kostenvoranschlag, ein Bauprotokoll, einen Stundennachweis, ein Foto der Arbeiten oder auch nur den geringsten Schriftverkehr mit dem Auftraggeber vorgelegt hat. Auch die Aussage eines seiner Angestellten wurde nicht angeboten. Die Vorlage von Rechnungen, die er selbst ausgestellt hatte, sowie von Aufzeichnungen über den Standort von Fahrzeugen sind selbst unter dem Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit unzureichend (E. 4.3).
Schuldbetreibung und Konkurs; Verfahren zur Schätzung einer Immobilie; Schätzungsmethode; Rolle der Schätzung; Art. 91, 97, 112, 140, 155 SchKG; 9, 44 VZG
Verfahren zur Schätzung einer Immobilie (Art. 97 Abs. 1 SchKG und 9 Abs. 1 VZGV) – Das Betreibungsamt nimmt die Schätzung der Immobilien im Rahmen der Pfändungsoperationen vor. Es erneuert die Schätzung nötigenfalls im Rahmen der Verwertungshandlungen nach Abschluss der Lastenbereinigung (Art. 140 Abs. 3 SchKG und Art. 44 VZG). Bei der Betreibung auf Pfandverwertung erfolgt die Schätzung des belasteten Grundstücks im Anschluss an das Verkaufsbegehren, da diese besondere Betreibungsart keine Pfändungshandlungen beinhaltet (Art. 155 Abs. 1 SchKG, der auf Art. 91 Abs. 1 SchKG verweist, und Art. 99 Abs. 1 VZG, der auf Art. 9 Abs. 1 VZG verweist). Die Schätzung muss den mutmasslichen Verkehrswert der Liegenschaft und des Zubehörs ermitteln, ohne Rücksicht auf die Höhe der Katastersteuer oder der Feuerversicherungssteuer. Jeder Interessent hat das Recht, durch eine Eingabe an die Aufsichtsbehörde innerhalb von zehn Tagen nach Erhalt der Schätzung des Amtes zu verlangen, dass eine neue Schätzung des zu verwertenden Grundstücks durch einen Sachverständigen vorgenommen wird (Art. 9 Abs. 2 VZG). Die Aufsichtsbehörde verlässt sich grundsätzlich auf das Gutachten der Sachverständigen. Es ist im Übrigen nicht selten, dass zwei Experten zum selben Objekt eine unterschiedliche Meinung vertreten, da die Schätzungskriterien von einem zum anderen erheblich abweichen können. In diesem Verfahren prüft das BGer lediglich, ob die kantonale Aufsichtsbehörde das vorgeschriebene Verfahren eingehalten und das ihr zustehende Ermessen nicht überschritten oder missbraucht hat. Eine solche Annahme ist gegeben, wenn sie Kriterien in Betracht gezogen hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie stattdessen relevante Umstände ignoriert hat (E. 3.1.1.).
Schätzungsmethode – Die Schätzung soll den mutmasslichen Verkehrswert der zu verwertenden Liegenschaft (Art. 9 Abs. 1 VZG), d.h. den voraussichtlichen Verkaufserlös, ermitteln, muss aber nicht « so hoch wie möglich » sein. Sie sagt nichts über den Preis aus, der bei der Versteigerung tatsächlich erzielt wird ; sie kann den Bietern höchstens einen Anhaltspunkt für das mögliche Gebot bieten. Sie muss alle Kriterien umfassen, die den Zuschlagspreis beeinflussen können, insbesondere die Normen des öffentlichen Rechts, die die Nutzungsmöglichkeiten der zu verwertenden Immobilie festlegen. Dagegen gibt das Gesetz nicht vor, welche Methode bei der Schätzung des Verkehrswerts anzuwenden ist. In der Praxis wird die hedonistische Methode, bei der mithilfe von Datenbanken ein Bündel von Parametern berücksichtigt wird, zur Schätzung von Wohnungen oder Einfamilienhäusern angewandt. Nichtsdestotrotz ist eine anerkannte und verbreitete Methode zur Bestimmung des Verkehrswerts einer Immobilie die Gewichtung des Ertragswerts und des Realwerts (E. 3.1.2).
Rolle der Schätzung – Bei der Betreibung auf Pfandverwertung spielt die Schätzung nur eine untergeordnete Rolle, da sie nur eine Vorstellung von einem für die Beteiligten akzeptablen Angebot vermittelt. Dies unterscheidet sich von ihrer Funktion im Pfändungsverfahren, wo sie den Umfang der Pfändung (Art. 97 Abs. 2 SchKG) festlegt (E. 3.1.2).
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