BGer 5A_395/2024 vom 8. November 2024
Dienstbarkeit; Teilweise oder vollständige gerichtliche Ablösung; Bauverbot oder Baubeschränkung; Auslegung einer Dienstbarkeit; Art. 736, 738 ZGB;18 OR
Vollständige richterliche Entlassung (Art. 736 Abs. 1 ZGB) – Wiederholung der Grundsätze (E. 2). Bauverbots- oder Baubeschränkungsdienstbarkeit – Beispiele für Zwecke, die mit diesen Dienstbarkeiten verfolgt werden (E. 2). Auslegung einer Dienstbarkeit (Art. 738 ZGB) – Wenn der Zweck der Dienstbarkeit nicht aus dem Eintrag im GB oder dem Vertragstext abgeleitet werden kann, ist die objektive Auslegung des Vertrags massgeblich, d.h. der Zweck, der sich vernünftigerweise aus den Bedürfnissen des berechtigtes Grundstücks zur Zeit der Entstehung des Rechts ergab. Eine solche Analyse beinhaltet notwendigerweise gewisse Annahmen (E. 4.1).
Im vorliegenden Fall bestand der Zweck der Dienstbarkeit in der Erhaltung eines architektonisch bemerkenswerten Schulgebäudes durch die Erhaltung seiner Umgebung, d.h. eines grossen Freiraums um das Gebäude herum und eines Blicks auf das umliegende Grün. Der Zweck der Grunddienstbarkeit kann sich nicht auf die Erhaltung der Sonneneinstrahlung beschränken, da ein Spielplatz die alte Schule ohnehin vom belastetem Grundstück trennte. Folglich ist der derzeitige Eigentümer des berechtigten Grundstücks, der das ehemalige Schulgebäude als Wohnung nutzt, aus weitgehend identischen Gründen nicht weniger daran interessiert als die Gemeinde als Rechtsvorgängerin, dass östlich seines Grundstücks keine Gebäude errichtet werden. Die Dienstbarkeit hat somit ihren Nutzen nicht verloren (E. 4.2-4.9).
Teilweise richterliche Ablösung (Art. 736 Abs. 2 ZGB) – Wiederholung der Grundsätze (E. 5.4). Es besteht kein Missverhältnis der Interessen, wenn das dienende Grundstück zum Zeitpunkt der Entstehung des Rechts landwirtschaftlich genutzt wurde und der Eigentümer dieses Grundstücks es heute bebauen möchte. Das Verbot, ein Bauwerk zu errichten, ist genau der Inhalt einer Dienstbarkeit des Bauverbots. Dieser Inhalt bedeutet immer die gleiche Belastung für das belastete Grundstück. Eine Bauverbots-Dienstbarkeit hat nämlich nur dann einen Sinn, wenn sie mit Einschränkungen gegenüber den Möglichkeiten des öffentlichen Rechts verbunden ist. Gerade in der Verhinderung einer öffentlich-rechtlich möglichen Bebauung verwirklicht sich der Zweck der Bauverbots-Dienstbarkeit (E. 5.5).
NB1 : Das vorliegende Urteil wird auch in der Analyse von Frau Sevhonkian zum Urteil des BGer 5A_85/2024 behandelt.
NB2 : Das im Urteil des BGer 5A_397/2024 behandelte Parallelverfahren hat dieselbe Dienstbarkeit zum Gegenstand, deren Gültigkeit bestätigt wird. Dieses Urteil bestätigt das Verbot der Ausführung eines Bauvorhabens, für das eine Baugenehmigung auf dem dienenden Grundstück erteilt wurde.