BGer 4A_243/2022 vom 26. Februar 2024

Architektur- und Ingenieurvertrag; Gesamtarchitektenvertrag; Honorar; letzte Kostenschätzung; Art. 404 OR; SIA-Norm 102

Gesamtarchitektenvertrag – Der Vertrag im vorliegenden Fall bezieht sich auf Planungs- und Bauleitungsleistungen. Es handelt sich um einen gemischten Vertrag, der je nach den Leistungen des Architekten entweder den Regeln des Auftrags oder denen des Werkvertrags unterliegt. Unabhängig davon, welche Leistung betrachtet wird, gelten für die Kündigung des Gesamtarchitektenvertrags die Regeln des Auftrags (Art. 404 OR). Im vorliegenden Fall haben die Parteien stillschweigend vereinbart, die SIA-Norm 102 in den Vertrag aufzunehmen (E. 3).

Honorar – Im vorliegenden Fall kündigten die Auftraggeber den Vertrag in einem Zeitpunkt, in dem die Arbeiten bereits begonnen hatten. Es ist unbestritten, dass die Berechnung des Honorars nach den Kosten des Bauwerks im Sinne von Art. 7 SIA-Norm 102 erfolgen muss (E. 4). Einer der Parameter der Formel für die Berechnung des Honorars sind die « aufwandbestimmende Baukosten », exklusive Mehrwertsteuer, im Sinne von Art. 7.2 der SIA-Norm 102. Wird das Projekt, wie im vorliegenden Fall, nicht realisiert, so wird das Honorar für die erbrachten Leistungen auf der Grundlage der letzten Kostenschätzung berechnet.

Letzte Kostenschätzung – Zu den Grundleistungen des Architekten nach der SIA-Norm 102 gehören die Kostenschätzung im Stadium des Vorprojekts (Art. 4.31), der genauere Kostenvoranschlag im Stadium des Bauprojekts (Art. 4.32) und die Revision der Kostenermittlung aufgrund der Angebote und Vergleich mit dem Kostenvoranschlag im Stadium der Ausschreibung (Art. 4.41). Im vorliegenden Fall erstellte der Beschwerdeführer erst in der Phase des Ausführungsprojektes des Bauwerks, im Dezember 2007, eine Kostenschätzung und erst nach Eingang der Angebote im Juli 2008 einen Kostenvoranschlag. Die vom Gesamtarchitekten gelieferten Informationen über die Baukosten sind von grosser Bedeutung, da sie die nachfolgenden Entscheidungen des Auftraggebers beeinflussen. Wenn also die Vergütung des Architekten aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Auftrags von den geschätzten Kosten des Bauwerks abhängt, kann der Auftraggeber in gutem Glauben davon ausgehen, dass nur die Kosten der Arbeiten, die er nach der jüngsten Schätzung zu übernehmen bereit ist, als Grundlage für die Berechnung des Honorars dienen werden. In ähnlicher Weise werden bei einer Projektänderung die zum Zeitpunkt der Änderung bereits ausgeführten Leistungen des Architekten gemäss Art. 7 SIA-Norm 102 nach den ursprünglich geschätzten Kosten des Bauwerks vergütet, während für künftige Leistungen die Kosten des Bauwerks nach der Änderung, gegebenenfalls nach dem neuen Kostenvoranschlag, massgeblich sind.

Im vorliegenden Fall akzeptierten die Auftraggeber die ihnen im Juli 2008 vorgelegte Schätzung, die sich auf Gesamtkosten von CHF 1'325’165.- bezog, nicht, da sie das Projekt sofort reduzierten, so dass die Kosten, die der Honorarberechnung zugrunde lagen, CHF 640’771.- betrugen. Folglich stellte der Kostenvoranschlag vom 4. Juli 2008 nicht die letzte Kostenschätzung im Sinne von Art. 7.5.6 SIA-Norm 102 dar. Es ist somit korrekt, einen Betrag von CHF 700'000.- zu berücksichtigen, der vom Architekten selbst am 19. Dezember 2007, also nach der Gesamtkostenschätzung vom 15. Dezember 2007, als für das Honorar massgebliche Kosten angegeben wurde.

Architektur- und Ingenieurvertrag

Architektur- und Ingenieurvertrag

SIA Normen

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Werkpreis

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Analyse

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Analyse des Urteils BGer 4A_243/2022

Xavier Borghi

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