BGer 5A_21/2023 vom 7. Februar 2024

Stockwerkeigentum; Vertretung der Stockwerkeigentümer in der Versammlung; Frist für die Anfechtung von Versammlungsbeschlüssen; Nichtigkeit eines Informationsbeschlusses; Art. 75, 712m, 712p ZGB; 32 OR

Vertretung von Stockwerkeigentümern an der Versammlung – Dass verhinderte Stockwerkeigentümer einen Dritten beauftragen können, sie zu vertreten und weisungsgemäss abzustimmen, entspricht nicht nur einem praktischen Bedürfnis, sondern wird auch aufgrund des in Art. 712p Abs. 1 ZGB verankerten Ausdruck « anwesend oder vertreten » als zulässig erachtet. Der Vertreter kann der Verwalter sein, vorausgesetzt, dass er nicht selbst durch den Punkt der Tagesordnung betroffen ist und dass er nicht frei abstimmen darf, sondern gemäss den Weisungen der vertretenen Eigentümer abstimmen muss. In diesem Fall besteht kein offensichtlicher Interessenkonflikt oder Neutralitätskonflikt. Im Falle einer Vertretung kann die Kenntnis des Inhalts der Beschlüsse und damit der Beginn der Frist zur Anfechtung dieser Beschlüsse den Vertretenen nach Art. 32 Abs. 1 OR zugerechnet werden (E. 4).

Frist für die Anfechtung von Versammlungsbeschlüssen – Die einmonatige Frist für die Anfechtung von Versammlungsbeschlüssen (Art. 75 i.V.m. Art. 712m Abs. 2 ZGB) ist eine materiellrechtliche Verwirkungsfrist, deren Einhaltung von Amts wegen und nicht nur aufgrund einer Einrede zu prüfen ist. Wenn das Gericht die Schlichtung durchführt und erst bei der Abfassung des Entscheids feststellt, dass die Frist nicht eingehalten wurde, und dann die Anfechtungsklage aus diesem Grund abweist, ohne die Parteien anzuhören, kann der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör im Berufungsverfahren geheilt werden (E. 5).

Nichtigkeit einer Informationsverfügung – Eine Nichtigkeit kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn eine qualifizierte Unregelmässigkeit vorliegt. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn ein schwerer formeller oder materieller Mangel vorliegt, z. B. wenn die Struktur oder das Rechtsinstitut des Stockwerkeigentums verletzt wird, die Versammlung von einer inkompetenten Person einberufen wird, ein Stockwerkeigentümer absichtlich nicht eingeladen wird oder ihm endgültig jedes Stimmrecht entzogen wird. Wie im Aktienrecht fallen Verletzungen der Informationspflichten grundsätzlich unter das System der Anfechtbarkeit und nicht der Nichtigkeit. In Bezug auf die Verwendung ihrer Pauschalbeiträge haben die Eigentümer gegenüber der Verwaltung ein Recht auf Information und Rechenschaft, das auch gerichtlich durchgesetzt werden kann. Ein Verbot für die Verwaltung durch einen Beschluss der Wohnungseigentümer, bestimmten Wohnungseigentümern Zugang zu diesen Informationen zu gewähren, verstösst gegen das Gesetz und ist daher anfechtbar. Ein solcher Beschluss ist anfechtbar und nicht nichtig (E. 6).

Stockwerkeigentum

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Allgemeiner Teil OR

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Verfahren

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