BGE 150 II 123, BGer 2C_196/2023 vom 7. Februar 2024
Öffentliche Beschaffungswesen; Beschwerdelegitimation von Berufsverbänden; Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung; Art. 83, 89 BGG; 64 INÖB
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Art. 83 Bst. f BGG) – Wiederholung der Grundsätze (E. 1.2 und 1.3.1). Das BGer hat sich noch nie zur Möglichkeit von Berufsverbänden geäussert, gegen Entscheide über die Vergabe öffentlicher Aufträge und insbesondere gegen freihändige Vergaben zu Beschwerde zu ergreifen. Bisher war es nur mit eigennützigen Verbandsbeschwerden befasst, die sich direkt gegen kantonale Erlasse richteten. Darüber hinaus stellt das BGer fest, dass die Frage umstritten ist und in den verschiedenen kantonalen Rechtsprechungen nicht einheitlich entschieden wird. Angesichts der entstandenen Rechtsunsicherheit ist es gerechtfertigt, davon auszugehen, dass der vorliegende Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (E. 1.3.2).
Beschwerdelegitimation (Art. 89 BGG) – Wiederholung der Grundsätze (E. 4.1). Im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens beschränkt sich der Kreis der zur Beschwerde gegen einen Vergabeentscheid berechtigten Unternehmen grundsätzlich auf diejenigen, die bei Gutheissung der Beschwerde noch eine Chance haben, den umstrittenen Auftrag zu erhalten, bzw. die eine Chance gehabt hätten, ihn zu erhalten, falls bereits ein Vertrag mit dem erfolgreichen Anbieter abgeschlossen wurde. Bei einer freihändigen Vergabe steht die Beschwerdelegitimation in der Regel nur jenen Unternehmen zu, die nachweisen, dass sie potenzielle Anbieter für den fraglichen öffentlichen Auftrag sind, indem sie nicht nur glaubhaft machen, dass sie tatsächlich in der Lage wären, die verlangten Leistungen zu erbringen, sondern auch, dass sie ein Angebot eingereicht hätten, wenn eine Ausschreibung veröffentlicht worden wäre (E. 4.2).
Verbandsbeschwerde – Wiederholung der Grundsätze (E. 4.4). Im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens wurde stets anerkannt, dass Berufsverbände die gleichen Bedingungen wie jeder andere Verband erfüllen müssen (E. 4.5). Daraus folgt, dass Berufsverbände, die gegen Entscheidungen über freihändige Vergaben Beschwerde einlegen wollen, dies nur tun können, wenn sie glaubhaft machen, dass die Mehrheit oder zumindest eine grosse Anzahl ihrer Mitglieder sowohl geeignet als auch bereit wären, für die betreffenden Aufträge zu bieten. Es handelt sich hierbei um eine kombinierte Anwendung der Regeln, die einerseits die Beschwerdebefugnis von Verbänden und andererseits die Beschwerdebefugnis im öffentlichen Beschaffungswesen regeln (E. 4.6). Diese Anforderungen wurden zudem im neuen Recht über das öffentliche Beschaffungswesen kodifiziert, das in diesem Fall nicht anwendbar ist (vgl. Art. 64 Abs. 1 IVöB).
Im vorliegenden Fall haben die beschwerdeführenden Berufsverbände im Laufe des Verfahrens nie erklärt oder gar glaubhaft gemacht, dass eine Mehrheit oder zumindest ein grosser Teil ihrer Mitglieder konkret an den von ihnen beanstandeten Verträgen interessiert gewesen wäre. Die blosse Tatsache, dass sich die interessierten Verbände aus Architekten, Ingenieuren und Bauunternehmern zusammensetzen, reicht in dieser Hinsicht nicht aus (E. 4.6). Im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens besteht die Rolle eines Berufsverbandes weniger darin, einzelne Vergaben anzugreifen, sondern vielmehr darin, mögliche neue gesetzliche Normen anzufechten, die im Vorfeld verabschiedet wurden und die Interessen seiner Mitglieder beeinträchtigen könnten (E. 4.7).