BGE 150 III 17, BGer 5A_307/2023 vom 15. Januar 2024

Dienstbarkeit; Notweg und öffentliches Recht; Notstand und Grundsatz nach Treu und Glauben ; Bestimmung des dienenden Grundstücks; Art. 694 ZGB; 19-20 RPG

Notwendiges Wegerecht und öffentliches Recht – Das notwendige Wegerecht kann nur bei Neubauten mit der Begründung verweigert werden, dass das Gebäude nicht ausreichend im Sinne von Art. 19 und 20 RPG erschlossen ist. Umgekehrt muss Art. 694 ZGB bei bestehenden Gebäuden die Möglichkeit bieten, alte Unzulänglichkeiten zu korrigieren, insbesondere bei einem Gebäude, auf das die Art. 19 ff. RPG zum Zeitpunkt der Errichtung nicht anwendbar waren und ohne dass ein Zusammenhang mit alten, aufgehobenen kantonalen Regeln hergestellt werden kann, die früher für die Erteilung der Baubewilligung galten (E. 3.2).

Notstand und Grundsatz von Treu und Glauben – Ein Eigentümer kann keinen Notweg im Sinne von Art. 694 ZGB verlangen, wenn er den Notstand selbst verursacht, geduldet oder sich damit abgefunden hat oder wenn er sich entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben verhalten hat, indem er beispielsweise einen bestehenden Durchgang beseitigt hat, um einen bequemeren zu erhalten. Die Verweigerung des Durchgangs setzt also voraus, dass der Eigentümer den Notstand durch vorsätzliches Handeln herbeigeführt hat. Dagegen ist anerkannt, dass einem Eigentümer, der ein bereits bebautes Grundstück kauft, nicht entgegengehalten werden kann, er habe die Notwendigkeit des Zugangs schuldhaft herbeigeführt. Die gleiche Argumentation muss auch für den Erben des Eigentümers gelten, der die Enklave verursacht hat, und auch ihm kann nicht die absichtlich geschaffene Notlage desjenigen, von dem er geerbt hat, angelastet werden. Eine missbräuchliche Haltung ist nicht vererbbar (E. 4.3).

Bestimmung des berechtigten Grundstücks (Art. 694 Abs. 2 ZGB) – Wiederholung der Grundsätze. Hat ein Grundstück nach der Teilung eines Grundstücks oder der Veräusserung eines angrenzenden Grundstücks, das demselben Eigentümer gehört, keinen Zugang mehr zu einer öffentlichen Strasse, wird der Durchgang auf dem anderen Grundstück gewährt, das seinerseits noch einen Zugang zur Strasse hat. In Betracht kommen auch bestehende Zufahrtswege, die für die heutigen Bedürfnisse nicht ausreichen, etwa weil der Durchgang zu schmal ist oder die Zufahrt mit einem Motorfahrzeug nicht erlaubt. In solchen Fällen ist der Notweg vom Eigentümer des Grundstücks, auf dem das bestehende Durchgangsrecht ausgeübt wird, geschuldet, wenn ein ausreichender Zugang durch dieses Grundstück möglich ist. Nur wenn kein Grundstück diese Kriterien erfüllt, d. h. wenn der Notstand nicht auf eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse oder der Zugangswege zurückzuführen ist, kann der Notweg vom Eigentümer des Grundstücks verlangt werden, über das der Durchgang am wenigsten schädlich ist (E. 5.3.1). Das Bundesgericht weist jedoch darauf hin, dass die Lehre die Rangordnung insofern abschwächt, als sie sich im Falle eines offensichtlichen Missverhältnisses zwischen den Nachteilen für die belasteten Potenziale umkehren kann bzw. der Zeitablauf dazu führt, dass frühere Ausgänge im Vergleich zu anderen Ausgängen, die angesichts des Zustands des Grundstücks logischer geworden sind, als unzumutbar erscheinen (E. 5.3.2). Schliesslich lässt das Bundesgericht die Frage offen, ob man dem Kriterium des früheren Zustands der Grundstücke eine zeitliche Begrenzung entgegensetzen kann, wobei es klarstellt, dass dies letztlich auf eine Abwägung der Interessen der Eigentümer hinausläuft, die mit dem erforderlichen Durchgang belastet werden könnten.

Im vorliegenden Fall, wo der Verlust des Zugangs zur Parzelle nach der Parzellenteilung erfolgte und der Zugang über die andere Parzelle, die aus der Teilung hervorgegangen ist, bereits besteht (Dienstbarkeit des Durchgangs), aber unzureichend ist, erscheint es kohärent, den ausreichenden Zugang nach dem Kriterium des geringsten Schadens für die Eigentümer der potenziellen belasteten Grundstücke zu schaffen (E. 5.4).

Dienstbarkeit

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Zur Publikation vorgesehen

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