BGer 4A_540/2022 vom 19. Dezember 2023

Werkvertrag; Gemischter Kauf- und Werkvertrag; Mängelbeseitigung nach der SIA-Norm 118; Recht auf Mängelbeseitigung des Haupteigentümers eines Stockwerkanteils; Stockwerkeigentum nach Plan; Änderung des Stockwerkeigentumsprojekts während der Bauphase; Koordination zwischen den Gewährleistungsrechten eines Stockwerkeigentümers und den dinglichen Rechten zwischen Stockwerkeigentümern; Art. 368 ff. OR; 641, 712d, 712e ZGB; 69 GBV; 169 SIA-Norm 118

Gemischter Kauf- und Werkvertrag – Wiederholung der Grundsätze. Anwendung der Regeln des Werkvertrags für die Gewährleistung (Art. 368 ff. OR), es sei denn, die Parteien vereinbaren etwas anderes. Im vorliegenden Fall haben die Parteien die Anwendung der SIA-Norm 118 vereinbart (E. 2.1).

Mängelbeseitigung nach SIA-Norm 118 – Art. 169 Abs. 1 Ziff. 1 SIA-Norm 118 privilegiert die Nachbesserung, setzt für diese aber analog zu Art. 368 Abs. 2 OR voraus, dass sie nicht mit unverhältnismässigen Kosten verbunden ist (E. 2.1).

Nachbesserungsanspruch des Eigentümers eines Stockwerkanteils – Der Unternehmer, der vertraglich den Bau eines Stockwerkanteils übernimmt, ist gegenüber dem Besteller verpflichtet, das Werk mangelfrei zu liefern, auch in Bezug auf die Bauteile, die auch anderen Miteigentümern zur Nutzung zustehen. Das Recht auf Nachbesserung ist unteilbar und jeder Stockwerkeigentümer kann seine vertraglichen Rechte auf Nachbesserung gegenüber dem Unternehmer ungeteilt ausüben, auch wenn sich diese Rechte auf gemeinschaftliche Teile eines aufgeteilten Stockwerkeigentums beziehen. Da die Verträge zwischen dem Unternehmer und den einzelnen Erwerbern nicht unbedingt denselben Inhalt haben, stellt sich die Frage, inwieweit ein einzelner Eigentümer seinen vertraglichen Anspruch auf Nachbesserung geltend machen kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der « Mangel » einen gemeinschaftlichen Teil betrifft und die anderen Miteigentümer das Bauwerk nicht als mangelhaft betrachten bzw. den Mangel oder die Planänderung akzeptiert haben. Unter diesen Umständen ist laut BGer eine Koordination zwischen der Anwendung des in den Werkverträgen der einzelnen Erwerber des Stockwerkeigentums vorgesehenen Rechts auf Nachbesserung und den Vorschriften über die Beschlussfassung der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer erforderlich. Ein Stockwerkeigentümer kann nicht alles durchsetzen, was er an sich aufgrund seines Vertrags vom Bauunternehmer verlangen könnte, ohne die Interessen der anderen Stockwerkeigentümer zu berücksichtigen (E. 2.1).

Stockwerkeigentum nach Plan – Gemäß Art. 712d Abs. 1 ZGB wird das Stockwerkeigentum durch Eintragung in das Grundbuch begründet. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Eintragung des Stockwerkeigentums im Grundbuch bereits vor der Errichtung des Gebäudes verlangt werden. In diesem Fall muss der Anmeldung zwingend ein Aufteilungsplan beigelegt werden (Art. 69 Abs. 1 GBV). Das Grundbuchamt vermerkt auf dem Grundbuchblatt der Liegenschaft und auf den Blättern der Stockwerkanteile den Vermerk : « Gründung des Stockwerkeigentums vor der Errichtung des Gebäudes » (Art. 69 Abs. 2 GBV). Der Aufteilungsplan dient der Präzisierung und Abgrenzung des Umfangs der ausschliesslichen Rechte, nimmt aber nicht am öffentlichen Glauben des Grundbuchs teil und ist keine öffentliche Urkunde im Sinne von Art. 9 ZGB (E. 2.1.2).

Änderung des Projekts des Stockwerkeigentums während der Bauphase – Individuelle Änderungen des Projekts werden nicht laufend im Grundbuch aktualisiert. Die Tatsache, dass die Sonderrechte als subjektive Privatrechte nicht oder noch nicht ausgeübt werden können, wie sie im Grundbuch und insbesondere im Aufteilungsplan festgehalten sind, wird durch den in Art. 69 Abs. 2 GBV vorgesehenen Vermerk im GB hervorgehoben. Die Berichtigung der Pläne hat zu erfolgen, wenn feststeht, was geändert worden ist. Die Stockwerkeigentümer und der Verwalter müssen die Fertigstellung des Gebäudes innerhalb von drei Monaten nach dem Bau dem Grundbuchamt melden, gegebenenfalls unter Vorlage des nach dem Bau berichtigten Aufteilungsplans (Art. 69 Abs. 3 GBV). Wenn die Aufteilung geändert wurde, muss ein korrigierter und von allen Stockwerkeigentümern unterzeichneter Aufteilungsplan eingereicht werden. Bei Änderungen, die sich auf die Quoten auswirken, kommt eine vertragliche Anpassung der Quoten einer Übertragung von Grundeigentum gleich und bedarf der öffentlichen Beurkundung sowie der Zustimmung aller Stockwerkeigentümer und der Genehmigung durch die Versammlung der Stockwerkeigentümer. Jeder Stockwerkeigentümer hat jedoch Anspruch auf eine Berichtigung, wenn sein Anteil falsch festgelegt wurde oder infolge von Änderungen in der Konstruktion des Gebäudes oder der Umgebung unrichtig geworden ist (Art. 712e Abs. 2 ZGB) (E. 2.1.2).

Koordination zwischen den Gewährleistungsrechten eines Stockwerkeigentümers und den dinglichen Rechten zwischen Stockwerkeigentümern – Im vorliegenden Fall hat der Bauunternehmer die Projektänderungen nicht allen Miteigentümern unterbreitet. Einige der derzeitigen Miteigentümer erwarben ihre Miteigentumseinheiten jedoch unter Bezugnahme auf die Projektänderungen und akzeptierten diese somit. Die vertraglichen Rechte der verschiedenen Stockwerkeigentümer gehen also nicht in die gleiche Richtung. Insofern besteht offensichtlich ein Koordinationsbedarf : Eine Wiederherstellung des Zustands gemäss den ursprünglichen Plänen kommt nur dann in Frage, wenn der Bauherr diese gegen den Willen der anderen Stockwerkeigentümer durchsetzen kann (E. 2.2), diese zustimmen oder offensichtlich nicht davon betroffen sind (E. 2.3.2). Keine dieser Annahmen ist im vorliegenden Fall nachgewiesen. Zudem kann die Frage des dinglichen Rechts zwischen Stockwerkeigentümern nicht im Rahmen der vorliegenden Vertragsklage entschieden werden, die sich nur gegen den Bauunternehmer richtet, unter Ausschluss der anderen Stockwerkeigentümer, die zwingend ein Mitspracherecht haben müssten. Zudem gelingt es dem Bauherrn nicht, die Willkürlichkeit der Feststellung aufzuzeigen, dass er nur seine Gewährleistungsansprüche, nicht aber seine dinglichen Rechte geltend machte (E. 2.3). Die Rechtsprechung zur negatorischen Klage (Art. 641 Abs. 2 ZGB) zwischen Stockwerkeigentümern kann dem Bauherrn somit nicht weiterhelfen (E. 2.4). Dasselbe gilt für Argumente, die sich auf das Entscheidungsverfahren und die Mehrheitsregeln innerhalb der Stockwerkeigentümergemeinschaft beziehen (E. 2.4.3).

In Bezug auf den Zusammenhang zwischen den Gewährleistungsrechten des Stockwerkeigentümers und dem Verhältnis zu den anderen Miteigentümern stellt das BGer klar, dass es sich um zwei verschiedene Fragen handelt, ob der Beschwerdeführer einerseits vom Unternehmer verlangen kann, dass dieser die Bauten so verändert, dass sie dem entsprechen, was mit ihm vereinbart wurde, und ob andererseits die anderen Miteigentümer diese Änderungen akzeptieren müssen (E. 2.5.1). Aufgrund des oben erwähnten Koordinationsprinzips ist es jedoch nicht zu beanstanden, wenn dem Bauherrn die Nachbesserung verweigert wird, obwohl er die dingliche Rechtslage nicht vorgängig geklärt hat, d.h. in diesem Fall, ob allfällige Änderungen an den gemeinschaftlichen Teilen von den Stockwerkeigentümern akzeptiert würden oder ihnen aufgezwungen werden können (E. 2.5.2). Andernfalls würde der Bauunternehmer Gefahr laufen, auf Verlangen der anderen Stockwerkeigentümer erneut rückbauen zu müssen, so dass der Bauherr kein schützenswertes Interesse an einem solchen widersprüchlichen Hin und Her hat (E. 2.6).

Werkvertrag

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Mängel/Garantie

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Stockwerkeigentum

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Analyse

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Analyse des Urteils BGer 4A_540/2022

Blaise Carron

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