BGer 2C_222/2023 vom 19. Januar 2024
Offentliche Beschaffungswesen; Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; rechtliche Grundsatzfrage; Art. 83 BGG; 27 BöB
Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 83 Bst. f BGG) – Im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur unter der doppelten Voraussetzung zulässig, dass der angefochtene Entscheid eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (Ziff. 1) und dass der geschätzte Wert des zu vergebenden Auftrags nicht unter dem massgebenden Schwellenwert nach Art. 52 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 2019 über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) liegt (E. 1.1). Im vorliegenden Fall wurde der Schwellenwert, der für Bauarbeiten, die von öffentlichen oder privaten Unternehmen, die wie die SBB einen öffentlichen Dienst erbringen, in Auftrag gegeben werden, auf CHF 2 Millionen festgelegt ist, erreicht (E. 1.2).
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung – Wiederholung der Grundsätze (E. 1.3). Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung :
- die Frage, ob die Eignungs- oder Qualifikationskriterien, die von den Anbietern eines öffentlichen Auftrags erfüllt werden müssen, zwingend – direkt und ausdrücklich – in der auf simap.ch veröffentlichten Ausschreibung erscheinen müssen, um zu einem Ausschluss vom Vergabeverfahren führen zu können. Für das BGer lässt sich die Frage aufgrund des klaren Wortlauts von Art. 27 BoeB verneinen. Zudem erinnert es daran, dass in den Ausschreibungsunterlagen enthaltene Vorschriften, deren Bedeutung erkennbar ist, grundsätzlich nur im Rahmen einer sofortigen Beschwerde gegen die Ausschreibung angefochten werden können (E. 1.5.1),
- die Frage, ob ein Ausschluss aufgrund der Nichterfüllung eines einzigen Eignungs- oder Qualifikationskriteriums möglich ist. In diesem Fall geht es eigentlich darum, zu prüfen, ob der Ausschluss eine unverhältnismässige Sanktion darstellen würde, d.h. um die Kontrolle der korrekten Rechtsanwendung und nicht um die Beantwortung einer rechtlichen Grundsatzfrage. Darüber hinaus betont die Bundesrechtsprechung seit langem und konstant, dass anbietende Unternehmen, die ein oder mehrere von der Vergabebehörde festgelegte Eignungs- oder Qualifikationskriterien nicht erfüllen, von vornherein von der Ausschreibung ausgeschlossen werden können (E. 1.5.2),
- die Frage, ob eine Vergabebehörde wie die SBB einen Bieter im Irrtum lassen darf, nachdem sie festgestellt hat, dass dieser ein Eignungskriterium offensichtlich missverstanden hat, und ihn später aufgrund falscher Angaben, die sich aus diesem Missverständnis ergeben, ausschliessen darf. Für das BGer hätte die Frage keinen Einfluss auf den Ausgang des Rechtsstreits, da das Konsortium in diesem Fall alle Anforderungen, die sein Angebot hätte erfüllen müssen, vollständig erfasst hatte (E. 1.5.3),
- die Frage, ob eine Vergabebehörde die Eignung eines Bieters verneinen kann, indem sie festhält, dass einige seiner Mitarbeiter die Mindestqualifikationsanforderungen nicht erfüllen, ohne sich bei den im Angebot angegebenen Referenzpersonen zu erkundigen, sondern nur bei anderen Dritten. Wiederum handelt es sich im vorliegenden Fall um eine Frage, die für den Ausgang des Rechtsstreits nicht relevant ist, da zugegeben wird, dass die Person entgegen den Anforderungen der Ausschreibung noch nie zuvor eine ähnliche Funktion ausgeübt hatte (E. 1.5.4).