BGer 5A_757/2022 vom 17. Mai 2023

Dienstbarkeit; Notwendiges Wegerecht; ausreichender Zugang im öffentlichen Recht; Verhältnis zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht; Art. 694 ZGB; 19 und 22 RPG

Notwendiges Wegerecht (Art. 694 ZGB) – Wiederholung der Grundsätze. In ständiger Rechtsprechung macht das Bundesgericht die Gewährung eines notwendigen Durchgangsrechts von sehr strengen Voraussetzungen abhängig. Das Durchgangsrecht kann nur im Falle einer echten Notwendigkeit geltend gemacht werden. Eine Notwendigkeit liegt nur dann vor, wenn eine bestimmungsgemässe Nutzung oder Bewirtschaftung des Grundstücks einen Zugang zur öffentlichen Strasse erfordert und dieser gänzlich fehlt oder stark beeinträchtigt ist (E. 4).

Ausreichender Zugang im öffentlichen Recht (Art. 19 Abs. 1 und 22 Abs. 2 RPG) – Eine Baubewilligung wird nur unter der Voraussetzung erteilt, dass das Grundstück erschlossen ist. Ein Grundstück gilt als erschlossen, wenn es in einer der geplanten Nutzung angemessenen Weise durch Zufahrtswege erschlossen ist. Für die ausreichende Zufahrt sind in erster Linie die Mittel der Planung massgebend ; sie kann auch durch eine private Vereinbarung zwischen den betroffenen Eigentümern eingerichtet werden. Der Zugang ist ausreichend, wenn er nicht nur für diejenigen, die von dem Bau profitieren, sondern auch für Fahrzeuge der öffentlichen Dienste gewährleistet, sicher und angemessen ist. Der Umfang der Anlagen und die Bestimmung der ausreichenden Zugänglichkeit fallen unter das kantonale Recht. Aus Sicht des Bundesrechts reicht es aus, wenn die Zufahrtsstrasse ausreichend nahe an den Bauten und Anlagen liegt. Es ist nicht erforderlich, dass die Strasse bis zum Baugrundstück oder sogar bis zu jedem Gebäude befahrbar ist ; es genügt, wenn die Benutzer oder Besucher mit einem Motorfahrzeug (oder einem öffentlichen Verkehrsmittel) in ausreichender Nähe zu den Gebäuden oder Anlagen gelangen können, um diese über einen Weg zu erreichen (E. 4.2.2).

Verhältnis zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht – Die Frage, ob ein Grundstück, auch wenn es in der Bauzone liegt, über einen für die bestimmungsgemässe Nutzung oder Bewirtschaftung ausreichenden Zugang verfügt, ist in erster Linie eine Frage des öffentlichen Rechts. Die Einteilung in Zonen sollte nämlich dazu führen, dass Grundstücke in der Bauzone planmässig erschlossen werden, wodurch die erforderlichen Grunddienstbarkeiten überflüssig werden. Die Realität auf dem Grundstück sieht jedoch manchmal anders aus. In diesem Fall muss der Grundstückseigentümer in erster Linie auf die Institutionen des öffentlichen Rechts zurückgreifen, wenn diese ihm eine angemessene Erschliessung ermöglichen. Insofern muss der Eigentümer, der einen notwendigen Durchgang beantragen will, nachweisen, dass er – zuvor und vergeblich – alles Mögliche getan hat, um mit den Mitteln des öffentlichen Rechts einen Zugang zu seinem Grundstück zu erhalten (E. 4.2.1).

Wird der Zivilrichter mit einem Streit um das Recht auf einen notwendigen Durchgang befasst, kann er sich grundsätzlich auf die rechtskräftige Baubewilligung stützen, da – unter Vorbehalt von Ausnahmen – der ausreichende Zugang des öffentlichen Rechts strengere Anforderungen voraussetzt als der privatrechtlich garantierte notwendige Durchgang (E. 4.4). Im vorliegenden Fall bestätigt das BGer, dass die fragliche Parzelle in der Bauzone liegt, ohne jedoch über einen aus öffentlich-rechtlicher Sicht ausreichenden Zugang zu verfügen, und dass die Einrichtung eines solchen Zugangs derzeit weder von den Behörden vorgesehen ist noch vom Eigentümer bei den Behörden eingefordert werden kann (E. 5). Zudem ist unbestritten, dass der Zugang im Sinne von Art. 694 ZGB ungenügend ist : Das Gebäude dient als Hauptwohnsitz ; der Fussgängerzugang ist gefährlich und entspricht nicht den aktuellen Kriterien (Länge und Steigung) ; es ist kein motorisierter Zugang für aussergewöhnliche Transporte oder öffentliche Dienste gewährleistet ; für aussergewöhnliche Postlieferungen über die bestehende Strasse gibt es keine Bewilligung (E. 6).

Dienstbarkeit

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