BGer 4A_539/2022 vom 5. April 2023
Werkvertrag; Leistungsverweigerungsrecht; Abtretung von Gewährleistungsansprüchen; Rückbehaltungs und Sicherheitsleistungsrecht bei Übergabe des Werkes; Pauschalpreis; Verhandlungsmaxime und Behauptungsprinzip; Art. 82, 164 ff. OR; 149 ff., 181 SIA-Norm; 55 ZPO
Leistungsverweigerungsrecht (Art. 82 OR) – Widerholung der Grundsätze. Ist die erhobene Einrede berechtigt, schützt der Richter die Klage in dem Sinne, dass er den Schuldner zur Leistung « Zug um Zug » verurteilt, d.h. zu einer Verpflichtung unter einer aufschiebenden Bedingung. Das Recht, eine Leistung zu verweigern, setzt jedoch voraus, dass die gegenseitigen Leistungen in einem Austauschverhältnis zueinander stehen. Ein solches Verhältnis besteht in der Regel nur zwischen Hauptleistungspflichten, nicht aber in Bezug auf Nebenleistungspflichten. Ausnahmsweise ist die Anwendung von Art. 82 OR jedoch auch in Bezug auf Nebenleistungspflichten denkbar, nämlich dann, wenn die Hauptleistung bei Nichterfüllung der Nebenleistungspflicht praktisch wertlos wäre. In erster Linie müssen die Parteien entscheiden, ob die Nebenleistung so wichtig ist, dass sie in einem Austauschverhältnis mit der Hauptleistung steht (E. 2.2).
Im vorliegenden Fall gelingt dem Bauherrn den Beweis nicht, dass die Übertragung der Sicherheiten eine Hauptpflicht wäre, die in einem synallagmatischen Austauschverhältnis mit der Zahlung des Baupreises stehen müsste (E. 2.3.3). Zudem wurden die Gewährleistungsrechte gemäss Ausführungsvertrag rechtsgültig abgetreten, sobald das Werk abgenommen wurde. Bei einer Forderungsabtretung werden die Vorzugs – und Nebenrechte mit der Forderung übertragen, mit Ausnahme derjenigen, die untrennbar mit der Person des Zedenten verbunden sind (Art. 170 Abs 1 OR). Lediglich ein selbständiges Garantieversprechen an den Zedenten nach Art. 111 OR wird nicht ohne weiteres von der Wirkung der Abtretung erfasst (E. 2.3.3.2).
Rückbehaltunsgrecht und Sicherheitsleistung nach Übergabe des Werkes (Art.149ff. und 181 SIA-Norm 118) – Gemäss Art. 181 Abs. 1 SIA-Norm 118 bestehtdie vor der Auszahlung des Rückbehalts zu leistende Sicherheit generell für Mängel, die bei der gemeinsamen Kontrolle oder während der Rügefrist gerügt werden, unabhängig davon, ob der Unternehmer seine Leistungen selbst oder durch Subunternehmer erbracht hat. Letztere sind Erfüllungsgehilfen, für deren mangelhafte Arbeit der Hauptunternehmer haftet.
Im vorliegenden Fall haben die Parteien jedoch eine Abtretung der Gewährleistungsrechte zum vereinbarten Zeitpunkt sowie eine vollständige Befreiung des Unternehmers von allen Verpflichtungen gegenüber dem Bauherrn für die Erbringung von Leistungen im Zusammenhang mit dem Projekt vorgesehen. Folglich besteht kein Garantieanspruch mehr und ein Rückbehalt ist nicht gerechtfertigt (E. 2.3.4.2).
Pauschalpreis – Im vorliegenden Fall änderten die Parteien den ursprünglichen Vertrag und legten in einer neuen Vereinbarung, fast ein Jahr nach der Übergabe des Werkes, einen Pauschalpreis fest. In diesem Zusammenhang ist mangels Gegenbeweises davon auszugehen, dass der Pauschalpreis die Preisminderungen beinhaltete, die aufgrund der mangelhaften Innenausstattung einiger Wohnungen geschuldet waren. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Pauschalpreisvereinbarung gerade darauf abzielte, eine komplizierte Abrechnung zu vermeiden (E. 3.3).