BGE 149 III 400, BGer 5A_955/2022 vom 26. Mai 2023
Dienstbarkeit; Auslegung einer Dienstbarkeit; Näherbaurecht und öffentliches Recht; Art. 738 ZGB
Auslegung einer Dienstbarkeit (Art. 738 ZGB) – Erinnerung an die Grundsätze (E. 3.3.1-3.3.3).
Näherbaurecht – Der Grundbucheintrag « Näherbaurecht » umfasst das Recht, in einem geringeren als dem gesetzlichen Abstand an die Grenze des Nachbargrundstücks zu bauen, d.h. auf oder unter der Bodenfläche ein Bauwerk zu errichten oder beizubehalten. So muss der Eigentümer des belasteten Grundstücks dulden, dass der Eigentümer des herrschenden Grundstücks auf seinem Grundstück in einem Abstand baut, der geringer ist als der gesetzliche Mindestabstand zur Grenze. Bei einem gegenseitigen Näherbaurecht verpflichten sich die beteiligten Grundeigentümer gegenseitig, ein Gebäude oder einen Gebäudeteil des anderen im Abstandsbereich zu dulden (E. 3.5).
Zusammenhang mit dem öffentlichen Recht – Näherungsbaurechte müssen sich von Anfang an im Rahmen des öffentlich-rechtlich Zulässigen bewegen : Es ist nicht möglich, mit diesem Instrument von den öffentlich-rechtlichen Abstandsregeln abzuweichen (E. 3.6). Für den Fall, dass das öffentliche Recht den beiden benachbarten Eigentümern nicht erlaubt, von der gegenseitigen Dienstbarkeit zu profitieren, vertritt das Bundesgericht, der Lehre zum Thema folgend, die Ansicht, dass der erste Bauherr vom Abstandsprivileg profitiert, während der zweite Bauherr weiter von der Grenze entfernt sein muss, um den Konflikt zwischen dem Recht auf nahes Bauen und den öffentlich-rechtlichen Vorschriften über den Gebäudeabstand zu lösen. Diese Lösung muss in jedem Fall Vorrang haben, wenn weder aus dem Dienstbarkeitsvertrag noch aus den sonstigen Umständen hervorgeht, dass die Vertragsparteien eine Verpflichtung haben, sich im gleichen Verhältnis von der Grenze zu entfernen (E. 3.6.3).