BGer 6B_1201/2022 vom 3. April 2023

Strafrecht; Fahrlässige Körperverletzung; Verletzung der Regeln der Baukunde; Art. 11, 12, 125 Abs. 1 und 229 StGB ; 328 OR; 82-83 UVG; VUV; BauAV

Fahrlässige Körperverletzung (Art. 11, 12 Abs. 3 und 125 Abs. 2 StGB) – Wiederholung der Grundsätze (E. 2.1.1).

Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229 StGB) – Wiederholung der Grundsätze (E. 2.1.2). Die mit der Leitung und Ausführung eines Bauwerks betrauten Personen sind dafür verantwortlich, dass in ihrem Bereich die Regeln der Baukunde eingehalten werden. Sie können aber nicht für sämtliche Missachtungen von Vorschriften auf einer Baustelle strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, sondern es ist in jedem Einzelfall abzuklären, wie weit der Aufgabenkreis und somit der Verantwortungsbereich der Beteiligten reichen. Dies bestimmt sich aufgrund gesetzlicher Vorschriften, vertraglicher Abmachungen oder der ausgeübten Funktionen sowie nach den jeweiligen konkreten Umständen. Die Pflichten zum Schutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz bzw. zur Unfallverhütung ergeben sich unter anderem aus Art. 328 Abs. 2 OR, Art. 82 UVG sowie der VUV. Darüber hinaus sind die gestützt auf Art. 83 UVG erlassenen Ausführungsvorschriften des Bundesrates und die übrigen Richtlinien zu beachten, welche die Pflicht des Arbeitgebers konkretisieren und für einzelne Arbeitsbereiche mit erhöhtem Gefahrenpotenzial zum Teil besonders umschreiben. Wird gegen eine solche Vorschrift verstossen, liegt darin zugleich ein Indiz für die Missachtung der Sorgfaltspflicht im Sinne von Art. 12 Abs. 3 StGB (BGE 114 IV 173, E. 2a).

Im vorliegenden Fall trat ein Arbeiter bei Hilfsarbeiten für den Bau eines Gerüsts in ein Loch in der Deckenschalung ; er stürzte eine Etage tiefer. Der Sicherheitsbeauftragte instruierte zwar die zuständigen Vorgesetzten, insbesondere den Chef-Gerüstbauer, darüber, welche Teile des Gebäudes betreten werden durften. Nach der Rechtsprechung ist jedoch ein Fehlverhalten von Arbeitnehmern und insbesondere von Hilfsarbeitern zu erwarten, bei denen keine besondere Ausbildung oder Fachkenntnisse vorausgesetzt werden können. Folglich hätte der Sicherheitschef der Baustelle die Unfallstelle gegen Absturz sichern lassen müssen, zumal nicht ersichtlich ist, dass dies nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich gewesen wäre. Öffnungen im Boden, auch wenn sie nur provisorisch sind, müssen gesichert bzw. zumindest mit einem rot-weißen Band gekennzeichnet werden. Die Tatsache, dass der Bereich visuell durch Armierungseisen abgegrenzt war, erweist sich als unzureichend (E. 2.3.1). Die Tatbestandsmerkmale der einfachen fahrlässigen Körperverletzung sowie der Verletzung der Regeln der Baukunde sind erfüllt (E. 2.3.2).

Strafrecht

Strafrecht