BGer 1C_254/2021 vom 2. März 2023

Enteignung; Enteignungsentschädigung; Art. 26 Abs. 2 BV

Enteignungsentschädigung – Erinnerung an den Grundsatz. Gemäss Art. 26 Abs. 2 BV kann eine Enteignung nur gegen volle Entschädigung erfolgen (E. 3.1).

Von Naturgefahren bedrohte Grundstücke – Eine langjährige Rechtsprechung geht davon aus, dass Grundstücke, die von Naturgefahren bedroht sind, aus enteignungsrechtlicher Sicht a priori nicht den Charakter von Bauland haben können. Dies gilt selbst dann, wenn das Grundstück bereits bebaut ist und die bestehende Nutzung aufgrund des Eintritts von Gefahren untersagt werden muss. Ebenso verneint die frühere Rechtsprechung jegliches Recht aus einer materiellen Enteignung, wenn das von Naturgefahren bedrohte Grundstück nicht formell enteignet wird, sondern einem Nutzungsverbot unterliegt. Diese Rechtsprechung wurde jedoch in einem kürzlich ergangenen Urteil nuanciert, in dem anerkannt wurde, dass gegebenenfalls der Umstand zu berücksichtigen ist, dass die Enteignung der Errichtung eines Bauwerks dient, mit dem andere Grundstücke und öffentliche Infrastrukturen geschützt werden sollen. Wenn dies der Fall ist und anstelle des betroffenen Grundstücks ein anderes Grundstück hätte enteignet werden können, ist der Verlust der Nutzbarkeit des Gebäudes letztlich nicht nur auf die Naturgefahr, sondern auch auf das Bauwerk zurückzuführen. Es wäre daher gerechtfertigt, die Enteignung eines solchen Grundstücks zum Baulandpreis zu entschädigen (E. 3.2).

Im vorliegenden Fall waren die enteigneten Parzellen, die sich in der Bauzone befanden, aber nicht erschlossen waren, aufgrund des anhaltenden Risikos von Stein- und Blockschlag, das durch die Permafrostproblematik noch verschärft wurde, nicht bebaubar. Die Enteignungsmaßnahme betraf alle Eigentümer von Immobilien, die sich in dem von Erdrutschen bedrohten Gebiet befanden, gleichermaßen. Die Enteignungsentschädigung wurde daher zu Recht nicht nach dem Verkehrswert in der Bauzone, sondern nach dessen Wert nach der Gefahreneinschätzung berechnet und auf 10 Franken/m2 festgelegt (E. 3.4).

Eigentum/Besitz

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