BGer 4A_23/2021 vom 12. Dezember 2022

Werkvertrag; Garantie für Mängel; Preisminderung; relative Methode; Art. 367 ff OR

Garantien für Mängel (Art. 367 ff. OR) – Der Bauherr kann folgende Gewährleistungsrechte geltend machen: Nachbesserung des Werkes, Minderung des Preises oder Auflösung des Vertrages. Es handelt sich um alternative Gestaltungsrechte; diese Wahl ist grundsätzlich unwiderruflich (E. 3).

Klage auf Preisminderung – Art. 368 Abs. 2 OR bestimmt, dass der Preis « im Verhältnis des Minderwerts » herabgesetzt werden muss. Dabei ist zwischen dem Minderwert des Bauwerks und dem Minderungsbetrag zu unterscheiden, den der Auftraggeber vom vollen Preis abziehen kann, indem er sein Recht auf Preisminderung ausübt. Der Minderwert bezieht sich auf das Bauwerk und der Minderungsbetrag auf den Preis. Das Recht auf Minderung setzt einen Minderwert voraus, der in der Differenz zwischen dem objektiven Wert des hypothetisch vertragsgemäßen Werkes und dem des tatsächlich gelieferten Werkes besteht. Wenn ein objektiver Minderwert festgestellt wird, besteht das Recht auf Minderung auch dann, wenn der Wert des Werkes mit dem Mangel den vereinbarten Preis erreicht oder übersteigt.

Zur Berechnung der Preisminderung « im Verhältnis zum Minderwert » schreiben die Rechtsprechung und die überwiegende Lehre die relative Methode vor – wie bei der Minderung des Preises der verkauften Sache –, die sich nach dem Verhältnis richtet, das zwischen dem objektiven Wert des Werkes mit Mangel und dem objektiven Wert des Werkes ohne Mangel besteht : Der vereinbarte Preis wird in dem sich ergebenden Verhältnis gemindert. Die Preisminderung ist mit dem Minderwert identisch, wenn der für das mangelfreie Werk vereinbarte oder festgesetzte Preis dem objektiven Wert des mangelfreien Werkes entspricht. Wenn sich der Wert des mangelhaften Werkes als null erweist, wird der Preis auf null reduziert (E. 4, Teil 1).

Doppelte Vermutung bei der Preisminderung – Die Rechtsprechung hat erstens die Vermutung aufgestellt, dass der Wert des Werkes, das hätte geliefert werden sollen (objektiver Wert des mangelfreien Werkes), dem von den Parteien vereinbarten Preis entspricht. Diese Vermutung beruht auf der Überlegung, dass der Preis in der Regel Ausdruck des Marktwerts ist. Wenn diese Vermutung nicht widerlegt wird, entspricht die Minderung des Preises einfach dem Minderwert. Um die Anwendung von Art. 368 Abs. 2 OR weiter zu erleichtern, hat das Bundesgericht festgelegt, dass vermutet wird, dass der Minderwert den Kosten für die Instandsetzung des Bauwerks entspricht. Die gemeinsame Anwendung dieser beiden Vermutungen führt zu einer Minderung des Preises in Höhe der Kosten für die Beseitigung des Mangels. Es ist Sache der Partei, die behauptet, dass eine dieser beiden Vermutungen auf den vorliegenden Fall nicht zutrifft, dies zu beweisen (E. 4, zweiter Teil).

Im vorliegenden Fall geht es um die mangelhafte Schallisolierung bestimmter Wände, für die eine separate Vereinbarung über CHF 3'877.90 unterzeichnet worden war und deren Beseitigungskosten der gerichtliche Sachverständige auf CHF 50'000.- geschätzt hatte. In Anwendung der Berechnung nach der relativen Methode, da keine der Parteien die anwendbaren Vermutungen angegriffen hat, stellt das Bundesgericht fest, dass der objektive Wert des Bauwerks mit Mangel null ist, so dass der Preis auf null reduziert wird. Der Bauherr hat somit Anspruch auf eine Preisreduktion von CHF 3'877.90, was dem gesamten Betrag entspricht, den er für die fraglichen Wände bezahlt hat, und nicht von CHF 50'000.-, wie die Vorinstanz entschieden hatte, als Reduktion des Preises für das Gesamtwerk von CHF 1,3 Millionen (E. 5.2).

Werkvertrag

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Mängel/Garantie

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