BGer 4A_473/2021 vom 27. September 2022
Werkvertrag; Werklieferung; Vertretung des Bauherren; SIA Norm; Verrechnung; Art. 33, 120 und 372 OR; 33 Abs. 2 SIA-Norm 118
Ablieferung des Werks (Art. 372 OR) – Vorbehaltlich anderer Vereinbarungen muss der Kunde die Vergütung bei Ablieferung des Werks bezahlen. Die Lieferung setzt voraus, dass das Werk fertiggestellt ist. Dies ist der Fall, wenn der Unternehmer alle vereinbarten Arbeiten ausgeführt hat, d. h. wenn das Werk fertiggestellt ist. Die Tatsache, dass es frei von Mängeln ist, spielt hingegen keine Rolle. Das Werk wird durch seine Übergabe oder durch die ausdrückliche oder stillschweigende Mitteilung des Unternehmers, dass es fertiggestellt ist, geliefert. Die Lieferung entspricht aus der Sicht des Käufers der Abnahme des Werkes. Ein besonderer Abnahmewille des Käufers oder seines Vertreters ist nicht erforderlich. Wenn der Käufer das Werk in Betrieb nimmt, gilt es als geliefert. Darüber hinaus gilt das Werk bei vorzeitiger Beendigung des Vertrags, sei es durch Kündigung oder Aufhebung im gegenseitigen Einvernehmen, als in dem Zustand geliefert, in dem es sich befindet, was die mit der Lieferung verbundenen Rechtsfolgen auslöst (E. 3.2.1).
Auslegung eines Vertrags (Art. 18 OR) – Erinnerung an die Grundsätze (E. 3.2.2).
Im vorliegenden Fall schickte der Bauherr eine Auftragsbestätigung für eine bestimmte Qualität der Verglasung auf der Grundlage eines Angebots, das diese Qualität ausdrücklich spezifizierte. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Vertrag aufgrund früherer Angebote für eine höhere Qualität geschlossen worden wäre. Nach Treu und Glauben obliegt es dem durch einen Architekten vertretenen Bauherrn, die Angebote auf die wesentlichen Punkte, insbesondere auf die Einhaltung der Minergie-Standards, zu prüfen bzw. bei Zweifeln Auskünfte einzuholen (E. 3.3.2). Da der Vertrag vertragsgemäss erfüllt wurde, liegt kein Mangel vor und der Bauherr war nicht berechtigt, die Fertigstellung der Arbeiten zu verhindern bzw. durch einen Dritten fertigstellen zu lassen (E. 3.4).
Vertretung (Art. 33 Abs. 2 SIA-Norm 118 und Art. 33 Abs. 3 OR) – Wenn die SIA-Norm 118 Anwendung findet, sieht Art. 33 Abs. 2 dieser Norm vor, dass alle das Bauwerk betreffenden Willenserklärungen der Bauleitung für den Bauherrn rechtlich bindend sind, insbesondere Bestellungen und der Abschluss des Werkvertrags. Im vorliegenden Fall wird damit der Argumentation des Bauherrn widersprochen, dass die Vertretungsmacht auf die Kontrolle der Bauunternehmer beschränkt war. Zudem gingen die von der Bauleitung ausgeführten Aufgaben weit über diese Kontrolle hinaus und entsprachen einer Mitteilung der impliziten Vertretungsmacht im Sinne von Art. 33 Abs. 3 OR (E. 3.3.3).
Verrechnung (Art. 120 OR) – Erinnerung an die Grundsätze (E. 4.1). Die angeblichen Ausgleichsforderungen des Geschäftsherrn beruhen im vorliegenden Fall auf der Annahme eines Mangels, der nicht vorliegt, so dass die Verrechnungseinrede zurückzuweisen ist (E. 4.3).