BGer 4A_53/2022 vom 30. August 2022
Gesamtarbeitsverträgen; Geltungsbereich eines Gesamtarbeitsvertrag; Art. 1 und 7 AVEG
Allgemeinverbindlicherklärung eines GAV (Art. 1 und 7 AVEG) – Der Bundesrat ist befugt, den Geltungsbereich eines Gesamtarbeitsvertrags auf alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer auszudehnen, die dem Wirtschaftszweig oder Beruf angehören, auf den sich der Vertrag bezieht, die aber nicht an den Vertrag gebunden sind. Damit soll verhindert werden, dass ein Unternehmen sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann, indem es seinen Arbeitnehmern schlechtere Bedingungen gewährt. Zum selben Wirtschaftszweig gehören Unternehmen, die in einem direkten Wettbewerbsverhältnis zu den Unternehmen stehen, die dem Vertrag beigetreten sind, indem sie Waren oder Dienstleistungen derselben Art anbieten. Um festzustellen, ob ein Unternehmen dem betreffenden Wirtschaftszweig oder Beruf angehört und in den Geltungsbereich des allgemeinverbindlich erklärten Vertrags fällt, muss konkret festgestellt werden, welche Tätigkeit das betreffende Unternehmen im Allgemeinen entfaltet. Entscheidend ist die vom betreffenden Arbeitgeber allgemein ausgeübte Tätigkeit, d.h. die Tätigkeit, die sein Unternehmen kennzeichnet (E. 4.1.1).
Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob ein Unternehmen, das im Bereich der Schaufenstergestaltung tätig ist, dem Gesamtarbeitsvertrag des Westschweizer Ausbaugewerbes unterstellt ist. Die Commission paritaire des métiers du bâtiment Second œuvre Genève, die die betroffenen Arbeitnehmer als 3D-Polydesigner bezeichnet hatte, hatte eine solche Unterstellung verneint. Im Gegenteil, das Kantonsgericht bezeichnete sie als Dekorateure und Dekorationsmaler und hielt fest, dass die oben genannte betroffene Tätigkeit dem GAV unterstellt war. Unter dem Aspekt der Willkür geprüft, weist das BGer die Beschwerde ab, da die Gesellschaft nicht bestreitet, dass sie die Demontage und das Anbringen von Schaufensterdekorationen vorgenommen hat, und da nicht bestritten wird, dass eine solche Tätigkeit dem GAV unterliegt. Das BGer fügt hinzu, dass die Firma weder behauptet noch bewiesen hat, dass die strittige Baustelle nicht repräsentativ für ihre allgemeine Tätigkeit sei, was sie sehr wohl zu einer direkten Konkurrentin der anderen Unternehmen des Baunebengewerbes macht, die im Bereich der Montage von Schaufensterausstattungen tätig sind (E. 4.5).