BGer 4A_137/2022 vom 30. August 2022
Werkvertrag; Vertretung; SIA Norm 118; Streitverkündung; Art. 32 ff OR; SIA-Norm 118; Art. 78 und 79 ZPO
Zivilrechtliche Vertretung (Art. 32 ff. OR) – Erinnerung an die Grundsätze (Rn. 4).
Anscheinsvollmacht (Art. 33 Abs. 3 OR) – Bei Fehlen einer Innenvollmacht des Vertreters ist der Drittvertragspartner ausnahmsweise geschützt, wenn der Vertretene ihm (ausdrücklich oder stillschweigend) eine (externe) Vollmacht zur Kenntnis gebracht hat, die über die Vollmachten hinausgeht, die er dem Vertreter tatsächlich erteilt hat (Innenvollmacht), und der Dritte im Vertrauen auf diese Mitteilung in gutem Glauben an das Bestehen der Vollmachten des Vertreters geglaubt hat. Der Vertretene, der den Anschein eines Vertretungsverhältnisses erweckt oder ein solches entstehen lassen hat, muss nach dem Grundsatz des Vertrauens (oder des wirksamen Anscheins) darunter leiden, dass der gutgläubige Dritte ihm alle Wirkungen der in seinem Namen vorgenommenen Handlungen zurechnet (E. 4.1). Die Mitteilung der Vollmacht durch den Vertretenen an den Dritten kann stillschweigend erfolgen. Das Verhalten des Vertretenen muss objektiv als Mitteilung der Vollmacht an den Dritten verstanden werden können, aber es ist nicht erforderlich, dass der Vertretene sich bewusst ist, dass er eine Mitteilung macht, solange sie ihm aufgrund von Umständen, die er kannte oder hätte kennen müssen, objektiv zugerechnet werden kann (E. 4.3.1).
Nach der Rechtsprechung kann der Dritte auch bei einer stillschweigenden externen Vertretungskommunikation durch Duldung oder aufgrund eines Anscheins geschützt sein. Duldung liegt vor, wenn der Vertretene von den Handlungen des Vertreters weiß, ihn als solchen handeln lässt und nichts unternimmt, um ihn daran zu hindern, so dass er damit eine Vollmachtsmitteilung an den Dritten richtet. Ein Anschein, d.h. eine externe Scheinvollmacht, liegt vor, wenn der Vertretene keine Kenntnis davon hatte, dass eine Person in seinem Namen handelte, er aber, nachdem er dem Dritten die Existenz von Vollmachten zur Kenntnis gebracht hatte, dies hätte wissen können und müssen, wenn er die nach den Umständen zu erwartende Aufmerksamkeit an den Tag gelegt hätte, und er hätte reagieren müssen (E. 4.3.1).
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen von Art. 33 Abs. 3 OR erfüllt. Die Bauherreneigenschaft des Vertretenen war nämlich aus zahlreichen Dokumenten ersichtlich (ein Vertragsangebot, mehrere Mitteilungen und Zahlungsanweisungen sowie der strittige Vertrag selbst). Somit kann der Vertretene nichts aus der Tatsache ableiten, dass er den strittigen Vertrag nicht gegengezeichnet hat, da der Unternehmer objektiv verstehen konnte, dass eine Unterschrift des Vertretenen nicht erforderlich war, da ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass der Vertreter als solcher auf dem Vertrag handelte. Aus demselben Grund kann er nichts aus der Tatsache ableiten und dass der direkte und wechselseitige Kontakt zwischen dem Vertretenen und dem Dritten sehr begrenzt war. Darüber hinaus reagierte der Vertretene nicht auf mehrere Schreiben, die eine Rechnung enthielten, die seiner Ansicht nach zu Unrecht an ihn adressiert wurde, da er nicht an den strittigen Werkvertrag gebunden war. Unter diesen Umständen war der Vertretene den Umständen entsprechend nicht aufmerksam genug, weshalb von einer Vollmachtsmitteilung durch den Vertretenen auszugehen ist, auch wenn diese nie ausdrücklich erfolgte (E. 4.6).
Integration SIA-Norm 118 – Parteien, welche die SIA-Norm 118 erst in den Schlussplädoyers erwähnen, bringen diese nur verspätet vor, weshalb sie nicht berücksichtigt werden kann (E. 5).
Streiverkündung (Art. 78 und 79 ZPO) – Eine Partei kann einem Dritten den Streit verkünden, wenn sie für den Fall ihres Unterliegens davon ausgeht, dass sie gegen den Dritten Ansprüche geltend machen könnte oder Gegenstand von Ansprüchen des Dritten sein könnte. Das Gericht muss nicht prüfen, ob die Anzeige begründet ist. Wenn der Angezeigte sich weigert, tätig zu werden, oder der Anzeige nicht nachgeht, nimmt der Prozess seinen Lauf (E. 7.1).
Im vorliegenden Fall entschied sich der Vertreter dafür, nicht am Prozess teilzunehmen, obwohl ihm die verschiedenen Schriftsätze (in der Berufung) übermittelt wurden, sodass er die in erster Instanz erfolgte implizite Zurückweisung der Anzeige nicht mehr rückgängig machte. Die Verkündung ist zudem vor Bundesgericht nicht zulässig (E. 7.2).