BGE 148 I 226, BGer 2D_8/2021 vom 7. Juli 2022

Öffentliche Beschaffungswesen; Verbot der Vergabe von Unteraufträgen; Veröffentlichung der Verwaltungssanktionen; Recht auf rechtliches Gehör; zur Publikation vorgesehen; Art. 13, 27, 29 Abs. 2, und 36 BV

Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) - Die einfache Verletzung einer in der Ausschreibung vorgesehenen Anforderung genügt, um es der Vergabebehörde zu ermöglichen, die gesetzlich vorgesehenen Verwaltungssanktionen zu ergreifen. Die kantonalen Gerichte konnten somit darauf verzichten, ohne den Anspruch des Zuschlagsempfängers auf rechtliches Gehör zu verletzen, zusätzliche Untersuchungen zu den angeblichen Verzögerungen anderer Handwerker durchzuführen (E. 2. 3). Sie konnten ebenfalls darauf verzichten, zu untersuchen, ob der Einsatz eines nicht bewilligten Unternehmens für die Entsorgung von asbesthaltigen Bauabfällen die Arbeiter auf der Baustelle tatsächlich gefährdet hatte, oder auch darauf verzichten, dem Zuschlagsempfänger Gelegenheit zu geben, zu beweisen, dass die Demontage der Fenster und deren Lagerung in Eimern fachgerecht durchgeführt worden war (E. 2.4).

Schwerwiegender Verstoss gegen Ausschreibungsgrundsätze - Im öffentlichen Vergaberecht ist es bei der Beurteilung eines Verstosses gegen das Untervergabe-Verbot weniger von Bedeutung, ob der Vertreter des Bauherrn die Anwesenheit von Arbeitnehmern dritter Unternehmen auf der Baustelle stillschweigend akzeptiert hat oder eine nachträgliche Genehmigung vorliegt. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob die formellen Meldepflichten im Lichte der Grundsätze der Gleichbehandlung sämtlicher Bieter und des wirksamen und fairen Wettbewerbs eingehalten wurden und die Ansprüche aus Arbeits- und Sozialversicherungsvorschriften durch sämtliche Bieter, einschliesslich der Subunternehmer gewährleistet waren. Dieses Versäumnis führte hier nicht nur zur Marktverzerrung und zur Gefährdung der Qualitätskontrolle in der Bauausführung, sondern hinderte insbesondere auch die Vergabebehörde daran, zu überprüfen, ob der Subunternehmer die gesetzlichen Verpflichtungen und die Ausschreibungsunterlagen eingehalten hat und gilt deshalb als schwerwiegender Verstoss (E. 3.4).

Sanktion verletzt die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 und 36 BV) - Erinnerung an die Grundsätze (E. 4.2). Die Veröffentlichung einer Sanktion im Amtsblatt und auf der Website der Vergabehörde verstösst nicht gegen die Wirtschaftsfreiheit. Die Veröffentlichung einer Sanktion kann abschreckend und generalpräventiv wirken, manchmal sogar stärker als die Sanktion selbst, da Erstere, wie im vorliegenden Fall, Auftraggeber und Konkurrenten sowie die Öffentlichkeit im Allgemeinen über das Fehlverhalten bestimmter Konkurrenten informiert, welches sonst unbekannt bleiben würde (E. 4).

Sanktion verletzt Schutz der Privatsphäre (Art. 13 und 36 BV) - Schutz der Privatsphäre, Allgemeine Grundsätze (E. 5.2); die Bekanntgabe einer Sanktion über das Amtsblatt und eine Internetseite führt zu einem Eingriff in die Garantie des Schutzes der Privatsphäre des Zuschlagsempfängers, wodurch geprüft werden muss, ob die Voraussetzungen von Art. 36 BV erfüllt sind (E. 5.3.1). Die Veröffentlichung von Sanktionen im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens beruht auf einer formell-gesetzlichen Grundlage im Kanton Tessin und entspricht einem öffentlichen Interesse (E. 5.3.2).

In Bezug auf die Verhältnismässigkeit der Sanktion hält das Bundesgericht fest, dass die Veröffentlichung auf einer Internetseite lediglich auf den Zeitraum beschränkt ist, in dem der betroffene Zuschlagsempfänger effektiv von den kantonalen öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen wird. Bei der Veröffentlichung im Amtsblatt ist der Eingriff schwerwiegender. Obwohl dort ebenfalls die Dauer des Ausschlusses angegeben wird, bleibt das Amtsblatt im Archiv der Website des Kantons Tessin verfügbar und kann auch Jahre später frei eingesehen werden, insbesondere seitdem es vollständig digitalisiert und in die vom Bund verwaltete zentrale Plattform (www.amtsblattportal.ch) aufgenommen wurde. Unter diesen Umständen ist festzuhalten, dass ein tatsächliches Risiko besteht, dass die Nachteile und irreversiblen Folgen der Veröffentlichung weit über die Nichtberücksichtigung des Unternehmens im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung hinausgehen. Das Risiko der Rufschädigung ist umso höher, wenn man bedenkt, dass die Bekanntmachung des Ausschlusses nicht nur für die Auftraggeber und die Aufsichts- und Kontrollbehörden notwendig ist, sondern auch für die Bieter selbst, im Rahmen der Vorabbewertung in Bezug auf Konsortien und Unteraufträge. Folglich ist das Interesse des Zuschlagsempfängers am Schutz seines Rufes höher zu gewichten als das Interesse, das mit der Veröffentlichung der Sanktion im Amtsblatt verfolgt wird, womit diese nicht als verhältnismässig gelten kann und aufgehoben werden muss (E. 5.3.3 und 5.3.5).

Öffentliche Beschaffungswesen

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Verfahren

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Zur Publikation vorgesehen

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