BGer 4A_377/2021 vom 29. Juni 2022

Werkvertrag; Regiearbeiten; Verhandlungsmaxime; Fälligkeit des Preises; Art. 363 OR; 55 ZPO; 155 ss und 164 SIA-Norm

Verhandlungsmaxime (art. 55 ZPO) – Behauptungs und Bestreitungslast ; Verweis auf eine Beilage.

Der Verweis auf Ausmassurkunden und Pläne genügt der Substanziierungslast wenn daraus ohne weiteres nachvollziehbar ist, was als Parteibehauptung gilt und wie die Forderung zustande gekommen ist und was genau von der Gegenpartei bestritten werden muss. Angesichts der Komplexität der Streitsache und der Vielzahl von Leistungen ist der Verweis auf Beilagen im Interesse der Lesbarkeit gar sinnvoll (E. 4.3.1 und 4.3.2).

In einem solchen Fall ist es nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz von einem feststehenden Sachverhalt ausging und keine Beweise bezüglich der Forderungen, welche die Beschwerdeführerin nur pauschal bestritten hat, abnahm (E. 4.3.3). Dasselbe gilt für die Berechnungen und die Nachvollziehbarkeit der Forderungen der Beschwerdeführerin : Die blosse pauschale Bestreitung, dass diese Berechnungen nicht nachvollziehbar seien, ist ungenügend (E. 4.3.4).

Regiearbeiten – Regiearbeiten sind nach der Fachsprache der Berufsleute Arbeiten, die nach Aufwand vergütet werden und von einem Pauschalpreis oder einer Vergütung nach Ausmass und Einheitspreisen nicht erfasst werden (vgl. Art. 44 SIA-Norm 118). Dessen ungeachtet sind sie Teil des Werkvertrags und damit von der grundsätzlichen Vergütungspflicht erfasst (Art. 363 OR). Nach den Branchenusanzen erstellt der Unternehmer für die einzelnen Regiearbeiten Zeitrapporte, welche er der Bauherrschaft zur Gegenzeichnung vorlegt, und die mit der Gegenzeichnung eine tatsächliche Vermutung für den darin ausgewiesenen Aufwand begründen. Der nicht unterzeichnete Regierapport lässt daher nach diesen Usanzen nicht die Vergütungspflicht des Bestellers entfallen, sondern beschlägt ausschliesslich die Beweisführungslast des Unternehmers. Andernfalls würde die Vergütungspflicht für Regiearbeiten als solche in die Willkür der Bestellerin gestellt, je nachdem ob sie bereit ist, die Rapporte zu unterzeichnen oder nicht. In diesem Verständnis aber wäre die Klausel als Knebelungsvertrag oder « contrat léonin » sittenwidrig und damit nichtig (E. 5.1).

Form der Regierapporte – Wenn der Werkvertrag die schriftliche Form für Regiearbeiten vorbehält, diese Arbeiten aber entgegen dem Vertrag nicht schriftlich in Auftrag gegeben wurden und der Meister oder sein Vertreter die meisten Berichte dennoch fast vorbehaltlos unterschrieben hat, ist davon auszugehen, dass der Meister stillschweigend auf die Einhaltung der schriftlichen Form verzichtet hat, noch dazu, wenn es keinen Hinweis darauf gibt, dass er den Vorbehalt der schriftlichen Form aufrechterhalten wollte (E. 5.3 und 6.4).

Vermutung – Wenn ein Regiebericht vom Bauherrn unterzeichnet wird, besteht eine natürliche Vermutung hinsichtlich der Richtigkeit des Inhalts des Rapports, da es ihm obliegt, die Richtigkeit des Rapports bei ihrer Unterzeichnung zu überprüfen. Der Bauherr kann die Notwendigkeit, einen Spezialisten (Gipser usw.) zu beauftragen, nicht mehr in Frage stellen, wenn er den Regierapport für dessen Einsatz vorbehaltlos unterzeichnet hat. Die gleiche Vermutung gilt auch, wenn dem Meister nach Ablauf der vertraglich vereinbarten Frist verspätet Regierapporte vorgelegt werden, er aber die Regiearbeiten mit seiner Unterschrift bestätigt. Unter dem Gesichtspunkt der Behauptungslast reicht eine grobe Darstellung der Regiearbeiten aus, zumindest bis die Vermutung der Richtigkeit der Regieberichte widerlegt ist (E. 6.2 und 6.4).

Darüber hinaus besteht die Vermutung der Richtigkeit auch für Rapporte, die der Heer nicht unterschrieben, aber bezahlt und in seiner eigenen Schlussabrechnung erwähnt hat ; in diesem Fall ist davon auszugehen, dass er sie im Nachhinein anerkannt hat (E. 6.3.1 und 6.4). Darüber hinaus reichen auch einfache, auf den Regieberichten verfasste Vorbehalte allein nicht aus, um die Vermutung der Richtigkeit der Berichte, die unterzeichnet wurden, in Frage zu stellen, zumindest was das Prinzip der Ausführung der in diesen Berichten erwähnten Arbeiten betrifft. Zumindest müsste der Auftraggeber eine fundierte Erklärung zu den in den Berichten aufgeführten Vorbehalten abgeben (E. 6.3.2 und 6.4).

Fälligkeit des Werklohns – Wenn die SIA-Norm Anwendung findet und der Auftraggeber mit sofortiger Wirkung auf die Fertigstellung der Arbeiten verzichtet und diese von Dritten fertigstellen lässt, führt dies zur Auslösung der Monatsfrist, um eine gemeinsame Prüfung des Werks zu verlangen (Art. 158 Abs. 2 SIA 118) und, wenn eine solche Prüfung nicht stattfindet, die Abnahme und Annahme des Werks zu verlangen (Art. 164 Abs. 1 SIA 118). Nach Ablauf der zweijährigen Gewährleistungsfrist kann sich der Bauherr zudem nicht mehr auf das Fehlen einer Bank- oder Versicherungsgarantie berufen, um die Fälligkeit der Restforderung zu verhindern. Dasselbe gilt für seine Weigerung, die Schlussabrechnung zu unterzeichnen (E. 7).

Werkvertrag

Werkvertrag

Werkpreis

Werkpreis

SIA Normen

SIA Normen

Verfahren

Verfahren

Analyse

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Analyse des Urteils BGer 4A_377/2021

Jean-Rodolphe Fiechter

26. September 2022

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