BGer 5A_745/2021 vom 26. April 2022
Bauhandwerkerpfandrechts; Verhandlungsgrundsatz, Reformcharakter der Berufung; Art. 55 et 318 ZPO
Verhandlungsgrundsatz, Behauptungs und Bestreitungspflicht ; Verweis auf eine Beilage – Wenn die klagende Partei eines Bauhandwerkerpfandrechts Tagesberichte mit leicht lesbaren handschriftlichen Eintragungen erstellt hat, aus denen hervorgeht, wann und für welches Haus oder Grundstück welche Arbeiten vorgenommen wurden, obliegt es der beklagten Partei, die Arbeiten genau zu bestreiten, was sie im vorliegenden Fall nicht getan hat (E. 2.3.2 und 3.4). Dasselbe gilt bezüglich der Behauptung der viermonatigen Frist für die Eintragung der Hypothek; ein Verweis auf die Unterlagen ist ebenfalls möglich, wenn sie separat begründet, dass die Frist für jedes Gebäude eingehalten wurde (E. 2.4-2.4.3).
Um die Existenz der verschiedenen strittigen Arbeiten zu beweisen, waren mehrere hundert Seiten an Belegen erforderlich, insbesondere mit allen individuellen Aufmaßen. Eine Integration dieser Elemente in die Urkunde hätte deren Umfang massiv erhöht, ohne dem Gericht oder der Gegenpartei mehr Informationen zu liefern, und wäre daher einer echten Leerlaufarbeit gleichgekommen. Im vorliegenden Fall enthält die Urkunde jedoch den Sachverhalt, der behauptet wird, zumindest in groben Zügen, so dass gerade in dem Fall, in dem eine Vielzahl von Einzelinformationen erforderlich ist, die Auslagerung der Informationen in einen Anhang keine Überfrachtung darstellt, sondern im Gegenteil sowohl die Lesbarkeit des Rechtsschriftsatzes als auch den Zugang zu den entsprechenden Informationen erleichtern kann (E. 2.4.4.2).
Reformatorischer Charakter der Berufung - Die Berufungsinstanz entscheidet nach eigenem Ermessen, ob sie eine reformatorische oder kassatorische Entscheidung trifft. Sie kann jedoch nur dann eine reformierende Entscheidung treffen, wenn sie verhandlungsfähig ist. Urteilsfähig ist ein Verfahren, wenn das Gericht über alle Elemente verfügt, um über die Begründetheit oder Unbegründetheit des geltend gemachten Anspruchs zu entscheiden oder einen Nichteintretensentscheid zu fällen. Zudem muss das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden sein. Die für die Beurteilung des strittigen Anspruchs erforderlichen Tatsachengrundlagen müssen vorhanden sein und die Parteien müssen die Möglichkeit gehabt haben, sich zu allen entscheidungsrelevanten Fragen zu äußern. Es darf kein verfahrenskonform gestellter Beweisantrag zu entscheidungsrelevanten Streitfragen offen bleiben. In den Augen des Gesetzgebers sollte eine Rückverweisung grundsätzlich die Ausnahme sein, da sonst das Verfahren unnötig verlängert würde (E. 4.3.2.1).
Selbst wenn das erstinstanzliche Gericht die Klage wegen eines Behauptungsmangels abgewiesen hat, kann das kantonale Gericht, das die Behauptung der Klägerin für ausreichend hält, die Entscheidung abändern und eine Entscheidung in der Sache treffen.