BGer 4A_501/2021 vom 22. Februar 2022
Werkvertrag; Verzug des Werkeigentümers und vorprozessualen Anwaltskosten; Art. 102 und 107 OR
Verzug - Ist eine Verbindlichkeit fällig, so wird der Schuldner durch Mahnung des Gläubigers in Verzug gesetzt (Art. 102 Abs. 1 OR). Die Mahnung ist eine an den Schuldner gerichtete Erklärung des Gläubigers, die zum Ausdruck bringt, dass er die Leistung ohne Säumnis verlangt. Mit der Mahnung muss die zu erbringende Leistung so genau bezeichnet werden, dass der Schuldner erkennt, was der Gläubiger fordern will. Die Mahnung ist eine empfangsbedürftige Erklärung. Ob im Einzelfall die Anforderungen an die Bestimmtheit und Deutlichkeit erfüllt sind, ist aufgrund der konkreten Umstände durch Auslegung - unter Anwendung des Vertrauensprinzips - zu ermitteln.
Im vorliegenden Fall verletzte die Vorinstanz kein Bundesrecht, indem sie akzeptierte, dass die Klägerin die Wiederaufnahme der Arbeiten und nicht die endgültige Lieferung der Maschinen angemahnt hatte (E. 6.2.3).
Nachfrist und Vergleichsgespräche - Solange der Gläubiger sein Wahlrecht im Sinne von Art. 107 OR nicht getroffen habe, könne er dem Schuldner eine neue Nachfrist ansetzen. Eine generelle Frist, innert der eine erneute Nachfrist anzusetzen wäre, würden Rechtsprechung und Lehre nicht statuieren. Der Gläubiger habe lediglich die Grundsätze von Treu und Glauben einzuhalten. Im vorliegenden Fall vergingen zwischen der ersten und der zweiten Mahnung mehrere Monate. In der Zwischenzeit standen die Parteien weiterhin in Kontakt, jedoch ohne dass der Bauherr ausdrücklich eine Wahl im Sinne von Artikel 107 OR getroffen hatte. In diesen Verhandlungen ist eine implizite Verlängerung der Nachfrist zu sehen, auch wenn diese nicht mit einem konkreten Datum versehen ist und daher keine zusätzlichen Verzögerungswirkungen auslösen kann (E. 6.3).
Vorprozessuale Anwaltskosten - Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können vorprozessuale Anwaltskosten Bestandteil des Schadens bilden, aber nur wenn sie gerechtfertigt, notwendig und angemessen waren, der Durchsetzung der Schadenersatzforderung dienen und nur soweit, als sie nicht durch die Parteientschädigung gedeckt sind. Die Partei, die den Ersatz vorprozessualer Anwaltskosten einklagt, hat substanziiert darzutun, das heisst die Umstände zu nennen, die dafür sprechen, dass die geltend gemachten Aufwendungen haftpflichtrechtlich als Bestandteil des Schadens zu betrachten sind, mithin gerechtfertigt, notwendig und angemessen waren, der Durchsetzung der Schadenersatzforderung dienen und nicht durch die Parteientschädigung gedeckt sind (E. 9.1).
Wie die Beklagte zu Recht ausführt, werden vorprozessuale Anwaltskosten in der Regel mit der Parteientschädigung entgolten. Dies gilt namentlich im Anwendungsbereich der ZPO. Sie können nur ausnahmsweise separat als Schaden eingeklagt werden (E. 9.2.2).
Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz der Klägerin Anwaltskosten zugesprochen, die zu einem Zeitpunkt angefallen sind, als realistischerweise bereits mit einem möglichen Prozess zu rechnen war, so dass sie von einer falschen Schadensabgrenzung ausging, als sie der Klägerin vorprozessuale Anwaltskosten zusprach (E. 9.2.2 und 9.3).