BGer 4A_455/2021 vom 26. Januar 2022
Werkvertrag; Einschluss der SIA-Norm 118 und Verhandlungsgrundsatz; Art. 55 ZPO; 102-107 OR; 153-155 und 190 SIA-Norm 118
Integration der SIA-Norm 118. Die SIA-Norm 118 ist das Regelwerk des privaten Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins. Nach der Praxis des Bundesgerichts kommt Regelwerken privater Organisationen auch dann nicht die Qualität von Rechtsnormen zu, wenn sie sehr detailliert und ausführlich sind wie beispielsweise die SIA-Norm 118. Das Bundesgericht anerkennt die SIA-Norm 118 nicht als regelbildende Übung und stellt nur darauf ab, wenn die Parteien sie zum Vertragsinhalt erhoben haben. Beruft sich eine Partei auf die SIA-Norm 118, dann hat sie zu behaupten und zu beweisen, dass diese Vertragsbestandteil geworden ist. Es ist nicht willkürlich, die SIA-Norm als notorisch zu bezeichnen (E. 5.2).
Verhandlungsmaxime bei Aufnahme der SIA-Norm 118. Wenn die SIA-Norm 118 in den Vertrag aufgenommen wird, ist es dem Gericht unbenommen, im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen das gesamte Vertragswerk unter Einschluss der global übernommenen SIA-Norm 118 zu würdigen. Ebenso kann das Gericht aus den einzelnen Vertragsbestimmungen Schlüsse mit Bezug auf die vertraglichen Pflichten ziehen, auch wenn die Parteien ihren Anspruch nicht im Einzelnen auf die einschlägigen Vertragsabreden abstützen. Es liegt keine Verletzung des Verhandlungsgrundsatzes vor (E. 5.3.2).
Im vorliegenden Fall durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht die im Werkvertrag explizit enthaltenen Zahlungsfristen für die Berechnung der Verzugszinsen heranziehen und die Frist von Art. 154 der SIA-Norm 118 ausklammern (E. 5.3.3). Die Vorinstanz hat jedoch einen Berechnungsfehler begangen, so dass die Beschwerde teilweise gutgeheissen wird (E. 5.3.4).